Standpunkt
Die News Januar/Februar 2023

30 Jahre EU-Binnenmarkt – ewig unvollkommen?

Ein Standpunkt von Peter Adrian

Am 1. Januar 1993 sollte der EU-Binnenmarkt vollendet sein. Das ist auch 30 Jahre danach nicht der Fall. Das Projekt bleibt von großer Bedeutung für die deutschen Unternehmen, denn der Binnenmarkt ist heute wichtiger denn je.

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Werner Schuering

Peter Adrian ist DIHK-Präsident. Der Immobilienunternehmer leitet die von ihm aufgebaute Triwo AG, die bundesweit rund 30 große Industrie- und Gewerbeparks betreibt – etwa den Flughafen Oberpfaffenhofen bei München, den Adrian als Forschungs- und Entwicklungsflughafen ausbaut.

Mit dem Start ins neue Jahr begehen wir ein aus Sicht der Wirtschaft wichtiges Jubiläum. 30 Jahre EU-Binnenmarkt, der zum Jahreswechsel 1992/93 als Kern der europäischen Integration eigentlich bereits komplett verwirklicht werden sollte. Leider ist er bis heute unvollendet. Selbst im kleinen Grenzverkehr gibt es immer noch viel zu tun, damit die Grundfreiheiten zwischen den EU-Ländern auch praktisch gut funktionieren. Auch unsere Auslandshandelskammern in der EU berichten immer wieder über vor allem bürokratische Hürden.

Mehr Chancen für Unternehmen und Fachkräfte

Trotz dieser punktuellen Schwächen ist der EU-Binnenmarkt wichtiger denn je. Das haben uns die geschlossenen Grenzen während der Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt, auch die Solidarität im Energiebinnenmarkt in der aktuellen Krise war dafür ein erneuter Beleg. Die Organisation von grenzüberschreitendem Verkehr für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital beschert uns allen enorme Vorteile. Der Binnenmarkt hat für Unternehmen, Verbraucher und Fachkräfte neue Möglichkeiten und zusätzliche Chancen gebracht. Kein anderes Handelsabkommen könnte diesen weltweit stärksten Raum ohne Binnengrenzen zwischen den Mitgliedern der EU ersetzen.

Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bei Achtung der regionalen Besonderheiten ist dabei vielleicht das wichtigste Instrument. Daher darf zum Beispiel Bier aus EU-Ländern in Deutschland ausgeschenkt werden, während wir zugleich durch entsprechende Kennzeichnung das deutsche Reinheitsgebot bewahren. Aber auch die EU selbst sollte das beherzigen: Ein Beispiel für übertriebene Regulierung sind die A1-Bescheinigungen für Arbeitnehmer, die vorübergehend grenzüberschreitend tätig werden. Soziale Ziele sind wichtig, aber EU-Bürokratie darf die Wahrnehmung der Freiheiten des Binnenmarktes dadurch nicht weniger attraktiv machen.

Herausforderungen annehmen

Richtig ist: Bei vielen neuen Entwicklungen, etwa im Bereich der digitalen Ökonomie, benötigt die EU gemeinsame Regeln, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle sicherzustellen. Harmonisierung ist jedoch für sich allein kein Garant für ein „Level-Playing Field“. Stattdessen sehen wir durch misslungene Harmonisierung eher eine Zersplitterung der Regelungen, sei es im kollektiven Rechtsschutz, beim Investitionsschutz oder bereits absehbar bei den Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: Gute Ziele rechtfertigen keine schlechte Regulierung. Zudem bedarf es immer auch einer konsequenten Anwendung des EU-Rechts. Insofern müssen wir die vier Freiheiten des EU-Binnenmarkts gegen Beschränkungen durch Mitgliedstaaten oder EU-Institutionen selbst verteidigen. Auf der anderen Seite brauchen wir eine gezielte Harmonisierung und einen Schutz des Wettbewerbs durch die Politik. Die Sicherung sowohl der Freiheiten der Bürger, als auch der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen setzt daher den gemeinsamen Willen voraus, die Integration des Binnenmarktes zu vollenden: Hierfür werden wir als DIHK weiter werben.