Aus der Welt nach Hamm
Mit Mareike und Fabio Boccola ist seit einigen Jahren die zweite Generation im Familienunternehmen Hauschild mit Stammsitz in Hamm aktiv. Die Redaktion sprach mit dem Ehepaar über den Nachfolgeprozess und wie die Familienbande manchmal Entscheidungen beeinflussen – im Guten wie im Schlechten.

Haben zusammen das Familienunternehmen Hauschild erfolgreich in die nächste Generation geführt: Fabio und Mareike Boccola sowie Gründer Gerd-Ulrich Schmidt (v.l.)
Frau Boccola, bitte stellen Sie kurz Ihr Unternehmen vor.
Mareike Boccola: Wir sind ein klassischer Mittelständler mit vierzig Mitarbeitenden im Bereich Spezialmaschinenbau. Wir entwickeln und produzieren unter der Marke „Speedmixer“ Mischgeräte, die in Labors, in der Forschung und der Entwicklung eingesetzt werden. Die Produktpalette reicht vom Tischgerät für die Mischung von wenigen Gramm in der Laborarbeit bis zu großen, schweren Geräten für die Kleinserienfertigung, die sich nur mit einem Gabelstapler bewegen lassen. Zu unseren Kunden gehören namhafte Player aus der Industrie, aus der Raumfahrt, der Kosmetik oder Medizin. Das Familienunternehmen wurde 1974 von meinem Vater ins Leben gerufen. Er war es auch, der die spezielle Mischtechnologie erfunden hat, die ohne Rührwerk auskommt. Gemischt wird ausschließlich mithilfe der Zentrifugalkräfte. Vereinfacht gesagt wird ein auf einer Halterung montierter Becher per Rotation und Gegenrotation extrem schnell gedreht. Dadurch wird das Mischgut sehr homogen.
Sie haben nach Abitur und BWL-Studium eine sehr erfolgreiche internationale Karriere hingelegt, waren viele Jahre in Peking und Abu Dhabi. Warum haben Sie sich dennoch dazu entschieden, die Nachfolge anzutreten beziehungsweise in das Unternehmen einzusteigen?
Mareike Boccola: Es war eigentlich nie geplant, dass ich irgendwann in das Unternehmen meines Vaters einsteigen werde. Ich bin zwar mit der Firma aufgewachsen, hatte meinen Fokus ganz klar anders gesetzt, wollte mein Reise-Gen voll und ganz ausleben. Das verstärkte sich sogar noch, als ich meinen Mann kennenlernte. Doch dann kam 2012 ein Anruf meines Vaters, der alles veränderte. Er teilte mir mit, dass er mit dem Gedanken spielte, in absehbarer Zeit in Rente zu gehen und fragte mich, ob er das Unternehmen verkaufen soll oder ob ich beziehungsweise wir uns vorstellen könnten, die Firma zu übernehmen. Ein Verkauf kam für mich irgendwie nicht infrage. Zwischenzeitlich hatten wir eine Familie gegründet. Und so spielten wir mit dem Gedanken, zu meinen Wurzeln nach Hamm zurückzukehren. Das Unternehmen stand bestens da und hatte einen Umsatzrekord nach dem anderen hingelegt, was uns die Entscheidung natürlich erleichterte. Da das Unternehmen meines Vaters international sehr gut aufgestellt war, wusste ich, dass ich auch weiterhin auf Reisen sein werde, wenn auch nicht in dem Umfang wie bis zu diesem Zeitpunkt. Das war für mich ein guter Kompromiss. Und last but not least erschien uns Hamm als grüne und sehr lebenswerte Stadt als ein idealer Ort, an dem wir unsere Kinder aufwachsen sehen wollten.
Wie war das bei Ihnen, Herr Boccola?
Fabio Boccola: Auch mein berufliches Leben war schon, bevor ich meine Frau kennen gelernt habe, davon geprägt, für große Firmen viel international unterwegs zu sein. Ich lebte und arbeitete etwa in China, Polen oder Rumänien. Mir ist die Familie sehr wichtig und wenn Kinder im Spiel sind, ist es doch schön, eine gemeinsame Heimat zu haben. Darüber hinaus erschien mir als Ingenieur im Bereich Industrieautomation die Übernahme von Verantwortung im Unternehmen meines Schwiegervaters als richtiger Schritt. Das Unternehmen bot tolle Produkte in einer herausragenden Qualität, wurde über Jahrzehnte sehr familiär und mit viel Herzblut geführt. Das hat mir sehr imponiert.
Mareike Boccola: Als mein Mann das Unternehmen kennen gelernt hatte, sagte er: „Ich sehe Hauschild als einen Rohdiamanten, der nur noch geschliffen werden muss.“
Fabio Boccola: Richtig, ich habe sofort erkannt, dass es da sehr viel Potenzial für Innovation und Weiterentwicklung gibt.
Wie lief der Nachfolgeprozess konkret ab? Wie sind Sie beide in Ihre Aufgaben hineingewachsen?
Fabio Boccola: Als erstes habe ich mir vor allem den technischen Bereich und die Produktion sehr genau angeschaut und über sechs Monate dort gearbeitet. Ich wollte ganz bewusst an der Basis anfangen. Anschließend war ich über ein Jahr in der Geschäftsentwicklung involviert, gewann neue Partner und verkaufte unsere Produkte. In dieser Zeit konnte sich nicht nur mein Schwiegervater von mir ein genaueres Bild im Arbeitsalltag machen, sondern auch alle Mitarbeitenden. Dieser Weg, erst ganz unten anzufangen und so die Anerkennung und das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen, war goldrichtig. Das spiegelt sich heute in einem sehr offenen Miteinander wider. Eine wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe und auch zuhören zu können, waren hier entscheidende Türöffner. Nach etwa zwei Jahren wurde ich schließlich angestellter Geschäftsführer des Familienunternehmens. Etwa zur gleichen Zeit wurde ein Großteil der Anteile auf meine Frau überschrieben – seitdem ist sie die Inhaberin. Zum Jahresende bekommt meine Frau von ihrem Vater den Rest der Anteile.

Mareike Boccola: Das Thema „Verantwortung“ sollte in diesem Kontext nicht unterschätzt werden. Mein Mann hat mit der Geschäftsführung ja auch Verantwortung für andere Familien und die Rente seiner Schwiegereltern übernommen. Ich bin praktisch damit aufgewachsen, er nicht. Und da gab es in Zeiten, in denen es im Unternehmen nicht so rund lief, bei ihm die ein oder andere schlaflose Nacht, in der er sich fragte, ob er dieser Verantwortung wirklich gerecht wird.
Fabio Boccola: Das war für mich immer wieder ein Learning. Früher als Mitarbeiter eines Konzerns musste ich zwar auch größere Budgets verwalten, war aber eben einer von vielen. Nicht vergleichbar mit einem Familienunternehmen, in der das Thema Familie mit all seinen Facetten gelebt wird und über die Unternehmerfamilie hinausgeht.
Mareike Boccola: Der Nachfolgeprozess an sich lief bei uns sehr pragmatisch ab. Eine externe Beratung oder irgendwelche im Vorfeld festgelegten Meilensteine gab es jedenfalls nicht – wir haben einfach gemacht. Das Endziel war aber von Anfang an klar: Ich übernehme den Bereich Marketing und Kommunikation, mein Mann die Geschäftsleitung, mit Fokus vor allem auf den technischen Bereich. Ich arbeitete aber auch eine Zeit lang in der Buchhaltung – für den Fall, dass da mal Not am Mann sein sollte. Gleich zu Beginn stand vor allem mein Mann vor einer riesigen Herausforderung: Bis zu unserem Eintritt ins Familienunternehmen war die Hauschild GmbH ein sogenannter Mittelständler auf Zuruf, vieles lief recht hemdsärmelig ab. Heißt, es gab keine großen Strukturen, geschweige denn ein Organigramm oder so etwas wie ein Bonisystem.
Fabio Boccola: Ich mussteerst einmal Strukturen schaffen, um das Wachstum des Unternehmens organisatorisch stützen zu können. Denn nicht nur der Umsatz stieg laufend, sondern auch die Zahl der Mitarbeitenden. Waren es anfangs 18, wurden es innerhalb kürzester Zeit vierzig. Ohne Strukturen verliert man da schnell die Übersicht, wird möglicherweise ineffizient.
Was hat Ihnen beiden den Nachfolgeprozess erleichtert, was hatten Sie anfangs vielleicht auch unterschätzt?
Mareike Boccola: Sehr gut war, wie mein Vater mit dem Nachfolgeprozess umgegangen ist und dass wir alle sehr viel miteinander kommuniziert haben. Er hat uns von Anfang an machen lassen, sehr viel Vertrauen geschenkt und gegen Ende recht geräuschlos, aber sichtbar für alle, sein Büro geräumt und an Fabio übergeben. Das hätten wir so nicht erwartet. Darüber hinaus war er auch immer an unserer Seite, wenn wir seine Unterstützung gebraucht haben. Unterschätzt haben wir, wie Mitarbeitende mit einer neuen Geschäftsleitung agieren, wenn die Tochter des Gründers ebenfalls im Unternehmen aktiv ist. Da sind Mitarbeitende bei Fragen, die eigentlich mein Mann beantworten sollte, verstärkt zu mir gekommen, weil sie mich eben länger kannten. Das Ende vom Lied: Ich habe meine Präsenz vor Ort auf ein Minimum reduziert und arbeite seitdem hauptsächlich im Homeoffice. So wussten die Mitarbeitenden, dass es nur einen gibt, der das Sagen hat.
Fabio Boccola: Was ich auch komplett unterschätzt habe ist, wie sehr das Thema Familie geschäftliche Entscheidungen beeinflussen kann. 2018/2019 verdächtigten meine Frau und ich einen ehemaligen Vertriebsmitarbeiter in den USA, eines unserer Geräte kopiert und unter eigenem Namen dort vertrieben zu haben. Dieser Mitarbeiter war ein sehr guter Freund meines Schwiegervaters, der gleich abgewunken hat, als wir ihm von unserem Verdacht erzählt hatten – ganz nach dem Motto: „Der tut so etwas nicht.“ Ich wurde also in der Sache erst einmal nicht aktiv. Wie sich dann später herausstellte: Er hatte es doch getan und zwischenzeitlich einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden angerichtet.

Wie unterscheidet sich heute Ihr Führungsstil von dem der Vorgängergeneration, was ist gleichgeblieben?
Mareike Boccola: Mein Vater war ein Kaufmann alter Schule und ein Macher. Was wir nicht wollten, war die große Revolution von heute auf morgen. Wir fanden es toll, wie er sich um alle Mitarbeitenden kümmerte und für sie immer ein offenes Ohr hatte. Das haben wir auch so übernommen, weil wir uns mit den damit verbundenen Werten ebenfalls identifizieren. Abgeschaut haben wir uns zudem, dass man auch in herausfordernden Zeiten als Unternehmerfamilie einen Grundoptimismus gegenüber der Belegschaft ausstrahlen muss.
Fabio Boccola: Geändert hat sich, dass wir uns heute Duzen statt Siezen und die Hierarchien noch ein Stück weit flacher geworden sind. Im Vergleich zu meinem Schwiegervater lege ich großen Wert darauf, dass die Belegschaft im hohen Maße eigenverantwortlich agiert und dafür von mir viele Freiräume erhält. Zudem sollen meine Mitarbeitenden bei all ihrer Arbeit ihre eigenen Familien im Fokus behalten können. So möchte ich beispielsweise, dass Überstunden die Ausnahme bleiben und Mitarbeitende so möglichst viel Zeit mit ihren Liebsten verbringen können. Arbeit ist natürlich wichtig, Familie muss aber Priorität haben – das drückt sich jeden Tag in meinem Führungsstil aus.
In welche Richtung möchten Sie beide das Familienunternehmen in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Fabio Boccola: Wir haben 2021 ein neues und sehr innovatives Mischgerät auf den Markt gebracht, von dem wir uns für die nächsten Jahren viel versprechen. Es ist in der Lage, während des Mischvorgangs die Temperatur in Echtzeit genau zu messen und bei Bedarf zu kühlen – bisher einmalig in der Branche. Wir hoffen, damit vor allem in den USA wieder Marktanteile zurückgewinnen zu können. Wir sind ein Spitzenreiter auf dem Markt und das soll auch so bleiben. Und was die Gewinnung von Fach- und Führungskräften betrifft, müssen wir ein Stück weit weniger „hidden“ werden.