Die Kraft des Storytellings
Das Geschichtenerzählen spielt nicht nur bei der professionellen Kommunikation mit Kunden, sondern auch mit der Öffentlichkeit allgemein eine immer wichtigere Rolle. Warum gerade Familienunternehmen hier punkten können, darüber sprachen wir mit Michael Meier, Chef der Agentur Schindler Parent.

Was macht eine gute Unternehmensstory aus?
Fakten und Zahlen sind wichtig, aber wenn man ein Thema dauerhaft im Kopf der Leser verankern möchte, ist das Erzählen von Geschichten viel besser. Wir Menschen haben viele zehntausend Jahre „mündlicher Geschichte“ hinter uns. Botschaften werden merkfähiger, wenn sie in einer schönen Geschichte verpackt sind – die Bibel ist ein überzeugendes Beispiel. Die Medien sind sich dem bewusst, darum wird guten Geschichten bevorzugt Platz eingeräumt. Eindrucksvoll hat das zum Beispiel die Schweizer Brugg Group, ein Familienunternehmen in der 4. Generation, zu ihrem 125-jährigen Jubiläum und der Übergabe von Otto H. Suhner an seinen Sohn Jörg inszeniert. Mit einer im Internet übertragenen Gala-Show (pandemiebedingt statt eines realen Events), in der man mit einer gehörigen Portion Humor wichtige Botschaften unterhaltsam transportierte, begeisterte man Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten (Anmerkung der Red.: Youtube, Suchbegriff „Brugg 125 Jahre Rückblick„). Die Sympathiewerte für die Brugg Group sind seither weiter gestiegen. So einen Blick auf die Unternehmenskultur bekommt man selten.
Ähnlich geht auch Homag vor. Coronabedingt finden weltweit kaum Messen statt, auf denen man mit Kunden in Kontakt bleiben kann. Das Unternehmen macht aus der Not eine Tugend: Es gibt einen Monat lang eine „echte“ Ausstellung. „Live.Homag“ ist die Bühne, auf der themenspezifisch in der Sprache der Kunden Geschichten erzählt werden, zum Beispiel über die Zukunft des Holzhausbaus, in einem Holzhaus inmitten kompletter Produktionsanlagen, mit Fragen und Antworten. Als Teilnehmer sitzt man in der ersten Reihe, besser als auf einer echten Messe.
Was prädestiniert gerade Familienunternehmen für das Thema?
Mythen und Legenden gehören zum genetischen Code des Unternehmens, wenn eine Familie die Geschicke leitet. Wir haben uns zusammen mit der Zeppelin Universität in verschiedenen Studien mit der Kommunikation von Familienunternehmen auseinandergesetzt. Sehr gut funktioniert wertebasiertes Marketing, da Familienunternehmen einen deutlichen Vertrauensvorschuss erhalten. Zwei Familienunternehmen, die mit konsequentem Storytelling arbeiten, sind Seitenbacher Müsli und Trigema. Ob es die unverkennbaren, selbstgemachten Radiospots sind, oder die Kombination von Wolfgang Grupp im Dreiteiler-Anzug mit Schimpansen und der Aussage „100% Made in Burladingen“: Hier gibt es eine so eindeutige Positionierung, dass sich die Zuhörer/Zuschauer sofort in zwei Lager teilen, etwa zustimmend oder ablehnend. Beiden Unternehmen gelingt es aber, ihre Wertebotschaften aufmerksamkeitsstark und merkfähig zu platzieren. Sie sind durch ihr Storytelling zu generischen Marken geworden. Seitenbacher ist untrennbar mit Müsli, Trigema mit T-Shirts verbunden.

Welche Rolle spielt dabei die richtige Sprache?
Seitenbacher und Trigema zeigen auch den Einsatz von Sprache im Storytelling. Willi Pfannenschwarz, Gründer von Seitenbacher, hat eine große Leidenschaft für Rockmusik und hat in den Anfängen selbst die Rundfunkspots eingespielt. Statt glattpolierter, austauschbarer High-End-Produktionen hört man eine Stimme, die mit einer Dialekteinfärbung kleine Geschichten zu den Produkten erzählt. Unverkennbar echt… Bei Trigema sind es Aussagen zur unternehmerischen Verantwortung, die Wolfgang Grupp für seine Mitarbeiter und den Standort fühlt: „Betriebsfamilie – das bedeutet Verantwortungsbewusstsein eines Unternehmers für seine Mitarbeiter, auch in schweren Zeiten. Im Familienunternehmen Trigema heißt das konkret: Seit über 45 Jahren gibt es weder Kurzarbeit noch Entlassungen wegen Arbeitsmangel und den Kindern aller Mitarbeiter wird stets ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz in der Firma nach dem Schulabgang garantiert.“ Das ist authentisch, einfach und auf den Punkt…
Wo lauern sonstige Fallstricke?
Auch ein Vorzeige-Familienunternehmen wie dm läuft mal in Kommunikationsfallen. Als Vorbild in Sachen Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterförderung hat dm alles andere als ein Image-Problem. Wenn dann aber Sextoys im Sortiment auftauchen (lange bei der Konkurrenz erhältlich) und dm damit bei Facebook wirbt, geht bei manchen Kunden eine Welt unter. Als bei einem Helene-Fischer-Parfum versehentlich falsche Warnhinweise online auftauchten („giftig für Wasserorganismen“, „allergische Hautreaktion“ etc.), gab es die nächste Welle. Wenn die Werte des Unternehmens eng mit den eigenen korrelieren, kochen die Emotionen bei vermeintlichen Verfehlungen des „geliebten“ Unternehmens schnell hoch. Jedes Abweichen von der idealisierten Vorstellung erzeugt eine starke persönliche Enttäuschung der Fans.
Die Identifikation des Kunden mit dem Unternehmen, das einem durch ein konsequentes Storytelling sympathisch geworden ist, hat eben auch Nachteile. Wenn man sich als Unternehmen dessen bewusst ist, einen Plan für große und kleine Krisen griffbereit hat, dann beruhigen sich die Wellen auch wieder. Schnelligkeit, Ehrlichkeit und Transparenz sind hierbei wichtig. Man muss die Hoheit über das Geschehen wiedergewinnen. Starke (Familien-)Marken erzeugen Loyalität, man verzeiht ihnen Fehler leichter als gesichtslosen Unternehmen.