Die „Spielverderber“
In Familienunternehmen, darunter viele Hidden-Champions, basiert der heutige Erfolg auf Entscheidungen, die vor Jahren getroffen wurden, aber auch auf Produkten, deren Zukunft zwischenzeitlich fraglich ist. Speziell im Maschinen- und Anlagenbau oder bei Automobilzulieferern gibt es einen fundamentalen Wandel. Dieser birgt Risiken, aber auch Chancen.

Um die Zukunftsfähigkeit vieler bislang sehr erfolgreicher Automobilzulieferer ist es nicht zum Besten bestellt.
Die Automobilindustrie ist traditionell das Zugpferd der deutschen Wirtschaft. Allein im „Mutterland des Automobils“, in Baden-Württemberg, sind namhafte Hersteller sowie zahlreiche, weltweit agierende Systemlieferanten und annähernd 2.000 kleine und mittelständische hochspezialisierte Zulieferunternehmen der Automobilbranche ansässig. Über Jahrzehnte hinweg herrschte in dieser Branchenwelt viel Sonnenschein. Als Zulieferer ärgerte man sich zwar über zunehmend unerfreuliche Einkaufsverhandlungen, doch letztlich stimmte ja zumindest die Auslastung. Denn Qualitätsfahrzeuge „Made in Germany“ erfreuten sich weltweit großer Beliebtheit. Jetzt aber zeigt sich deutlich, dass die gesamte Branche vor einer einschneidenden Transformation steht. Denn das Auto mit Verbrennungsmotor und sogar der gesamte Individualverkehr in seiner heutigen Form sind möglicherweise Auslaufmodelle.
Weniger Bauteile notwendig
Auch wenn es den Fahrzeugherstellern zwischenzeitlich zunehmend gelingt, dem Tesla-Hype Paroli zu bieten und massentaugliche Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen, sind viele Zulieferer und damit Tausende von Jobs in Gefahr. Der Grund dafür liegt auf der Hand: E-Autos sind wesentlich einfacher aufgebaut als konventionelle Fahrzeuge. Für einen E-Motor braucht es nur einen Bruchteil der Bauteile eines Verbrennungsmotors. Hinzu kommt, dass die technologische Kompetenz für Akkus und Elektromotoren überwiegend in Asien liegt. Darüber hinaus sind in E-Autos weder Getriebe noch Ventile notwendig. Auch das nachgelagerte Service- und Ersatzteilgeschäft wird perspektivisch rückläufig sein, denn der Verschleiß ist ebenfalls deutlich geringer.
Die Herausforderung besteht aber nicht nur durch den Technologiewandel. Genauso bedeutsam ist der bevorstehende Wandel von Kundenbedürfnissen, der gewaltige Auswirkungen auf die gesamte Branche haben wird. Beispielhaft kann man hier auf das Geschäftsmodell von Uber schauen. Das Dienstleistungsunternehmen bietet einen Vermittlungsdienst zur Personenbeförderung via Web oder App. Kombiniert man dieses Konzept mit neuen, autonomen Fahrzeugen ergibt sich eine völlig neue Form der Mobilität. Zumindest in urbanen Ballungsräumen werden sich vermutlich viele Menschen kein eigenes Auto mehr anschaffen. Im Bedarfsfall wird man Online einen selbstfahrenden Pkw zu seinem Standort rufen, dann die gewünschte Strecke zurücklegen und das Fahrzeug am Zielort einfach stehen lassen.
Mit Umbruch auseinandersetzen
Die Industrie- und Zuliefererfirmen, viele davon gehören zur Gruppe der unbekannte Marktführer – den „Hidden Champions“, müssen sich daher mit einem fundamentalen Umbruch im angestammten Business auseinandersetzen. Egal, ob man bis dato der Spezialist für Einzelteile, Komponenten oder schlüsselfertige Anlagen war – es braucht jetzt einen ehrlichen Blick auf das Risikoprofil des eigenen Betriebs. Doch die Inhaber, Geschäftsführer und Manager der Unternehmen sind eben auch nur Menschen. Als solche verschließen sie gerne die Augen vor bedrohlichen Fakten oder unbequemen Wahrheiten. Zudem steckt man meist tief im operativen Tagesgeschäft und es fehlt einem möglicherweise auch der Zugang und Einstieg ins strategische Thema Vision.

Modifizieren ist keine Innovation
In der Beratung von Maschinenbau-Unternehmen lässt sich immer wieder feststellen, dass diese Firmen bei ihren Produkten auf möglichst lange Lebenszyklen hoffen. Keine Frage, schließlich produziert man ausgefeilte Investitionsgüter, höchst erklärungsbedürftige Produkte. Da sollte man doch darauf hoffen können, dass der Markt in den nächsten Jahren noch Bedarf an denselben Maschinen anmeldet. Allerdings hat die Hoffnung auf lange Lebenszyklen einen schalen Beigeschmack: Die Entwicklungsabteilungen im Maschinenbau verkommen dadurch gerne zu „Modifizierern“. Sie sprechen mit ihren Kunden zwar über Effizienz- und Effektivitätssteigerungen, aber diese Gespräche sind meist ausgerichtet an bereits vorhandenen Produkten und Verfahren. Wahrhaft zukunftsweisende Ideen schafft ein Maschinenbau-Unternehmen so nicht. Problematisch wird diese bequeme Einstellung zum Forschen und Entwickeln spätestens dann, wenn sich die Welt der Kunden verändert. Wenn also zum Beispiel CNC-Maschinen produziert werden, die Drehereien kaufen sollen – was passiert, wenn sich der Markt dieser Kunden verändert? Wenn also die Kunden der Kunden plötzlich kleinere Losgrößen abnehmen, andere Chargen benötigen oder die Dreherei gar eine Baugruppe an seinen Kunden liefern soll? Um solchen Fragen adäquat zu begegnen, braucht es neue Denkweisen.
„Wer zu langsam ist, um neueste technologische und verbrauchergetriebene Trends umzusetzen oder neue Vorschriften zu befolgen, ist zumindest angezählt.“
Disruption ist nur ein Teilaspekt
Es ist Zeit für einen Wechsel, vom jetzigen Marktwettbewerb hin zur Schaffung neuer Märkte. Es geht darum, sich eine bewusste Auszeit zu nehmen und in einem Workshop den eigenen Markt umzukrempeln, bevor es ein Wettbewerber tut. Dabei kann die „Disruption“, die kreativ-schöpferische Zerstörung eine wichtige Rolle spielen. Im Mittelpunkt steht dabei unter anderem die Frage „Wie müsste ein Mitbewerber aussehen, der unserem Geschäftsmodell den Boden unter den Füßen wegzieht und unsere Existenz bedroht? Wir reden hier von einem echten Alptraum, einem „Nightmare Competitor“. Ergänzend dazu die Ableitung: „Was bedeutet das für unser Unternehmen – sind wir gewappnet, wenn ja, wie wirksam?“ Doch mindestens genauso wichtig ist auch ein nicht-disruptiver Ansatz, um neue Märkte anzugehen und Wachstum zu erzielen. Dies kann zum Beispiel im Rahmen eines „Future Walk“ geschehen.
Genau genommen gibt es im Rahmen einer „Strategie für Marktschaffung“ drei Wege:
- Für ein existierendes Branchenproblem eine absolut bahnbrechende Lösung bieten. Als Beispiel dient der Verbrennungsmotor, der den Dampfmotor verdrängte.
- Ein existierendes Branchenproblem umdefinieren und lösen. Hier dient die Musik als Beispiel: Klassik gilt als nicht „massentauglich“ – die Formalität und der Anspruch klassischer Musik schreckt viele Menschen ab. André Rieu schaffte mit seinem Orchester eine unterhaltsame, interaktive Atmosphäre, kombiniert Klassik mit Moderne und füllt so große Konzerthallen.
Beides sind disruptive Ansätze. Als dritter Ansatz folgt ein Nicht-disruptiver Weg:
- Kundenbedürfnisse neu betrachten, ein völlig neues Problem identifizieren und lösen oder eine völlig neue Gelegenheit ergreifen. Ein Beispiel sind Klingeltöne für das Handy – hier wurde ein Marktraum jenseits existierender Branchengrenzen geschaffen, ein Milliarden-Dollar-Business – einfach deshalb, weil man den Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Individualität mittels Lieblingssong oder Sound auszudrücken.
Immer geht es darum, dass die Entscheidunsträger wirklich verstehen, wo sich das Unternehmen gerade befindet. Relevante Fragen sind dabei beispielsweise: Wie steht es um die strategische Ausrichtung? Sind die wesentlichen Wettbewerbsfaktoren bekannt? Gibt es ein stimmiges Gesamtbild der Firma aus Kunden-/Käufersicht? Darauf aufbauend muss man sich vorstellen, wo man sein könnte und lernen, durch die Augen der Kunden auf das Produkt, das Unternehmen zu schauen.
Es ist echter Handlungsbedarf angesagt. Wer zu langsam ist, um neueste technologische und verbrauchergetriebene Trends umzusetzen oder neue Vorschriften zu befolgen, ist zumindest angezählt. Viele Unternehmen laufen Gefahr, zu scheitern oder werden, ohne schlüssige Konzepte, auch keine Finanzmittel mehr für Investitionen bekommen. Sowohl die Banken wie auch die Auftraggeber schauen genau hin wer „zukunftsfähig“ ist. Aus Risikosicht bestehen dabei große Gefahren bei Fahrzeugkomponenten-Firmen, die sich auf Verbrennungsmotoren und Abgassysteme konzentrieren. Dieser Bereich ist mit einem sinkenden Marktvolumen, einer hohen Marktkonsolidierung sowie starken negativen Auswirkungen seitens der Gesetzgebung konfrontiert. Aber auch interne Risiken sind relevant, beispielsweise geringe Erträge – wie man sie im Cluster Fahrzeugachsen vorfindet. Die geringsten Risiken weisen derzeit solche Bereiche auf, bei denen es um elektrische Antriebsstränge oder um Sensorik geht.
Visionäre, Herausforderer und Spielveränderer
Wie kommen bislang sehr erfolgreiche Mittelstänndler, die Hidden Champions unter den Zulieferern, mit dieser Situation klar? Sind die Zulieferer weiterhin die Zitrone, die von den Großabnehmern immer weiter ausgepresst wird? Wo befindet sich die Supplier innerhalb der Wertschöpfung? Wie können sich diese Unternehmen behaupten? Im Gegensatz zur häufig rückwärtsgerichteten Analyse sollte man sich in den Chefetagen daher auch mit visionären, zukunftsorientierten Aktivitäten beschäftigen. Modelle wie Blue Ocean Shift, moderierte „Nightmare Competitor“-Workshops oder ein „Future Walk“ dienen der Bildung realitätsnaher und wahrscheinlicher Szenarien und eröffnen dem Unternehmen im Spiel alternative strategische Handlungsoptionen unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Reaktion von Markt und Wettbewerb.
Wie wichtig dies ist, zeigt das Beispiel der Datatec AG mit Stammsitz in Reutlingen. Das Unternehmen steht auf drei Säulen: Elektrotechnik, elektronische Messtechnik und elektronische High-End-Messtechnik. Sowohl um die Jahrtausendwende wie auch im Jahr 2015 wurden in Workshops die möglichen und vorstellbaren Zukunftsräume ausgeleuchtet und dabei erkennbare Trends sowie verschiedene Entwicklungspfade von Wissenschaft und Technik integriert. Das galt auch für die Rolle, die ein Unternehmen wie Datatec dabei spielen kann. In diesem Zusammenhang wurden wichtige Fragen erörtert, zum Beispiel: Wie wird unsere Branche in fünf oder zehn Jahren aussehen? Welche Kunden werden in fünf Jahren was wo und wie beschaffen? Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen wir jetzt entwickeln, wenn wir auch in Zukunft zur Vorhut unserer Branche gehören möchten? Die Ergebnisse sind in die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und Markenidentität eingeflossen. Die Zukunftsvision sorgt für Glaubwürdigkeit, zeigt den Charakter als Spielveränderer und schafft Markterfolge.