Folgen des Energiepreisschocks wirkungsvoll abfedern
Wir erleben derzeit eine schwere Energiekrise, die sich immer mehr zu einer Wirtschafts- und Sozialkrise auswächst. Auslöser war der russische Überfall auf die Ukraine, den Putin willkürlich vom Zaun gebrochen hat. Sein Ziel ist dabei nicht nur, die Ukraine als Demokratie zu zerstören; er zielt genauso darauf ab, unsere Unterstützung für die Ukraine zu brechen, die Solidarität in Europa zu schwächen und uns zu destabilisieren. Dabei versucht Putins Russland, die Macht über die Energieversorgung auszunutzen, die wir als Land ihm in der Vergangenheit eingeräumt haben.

Robert Habeck ist Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Gemeinsam mit Annalena Baerbock war er vom Januar 2018 bis Februar 2022 Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Wir haben unser Wohlstandmodell auf der Verfügbarkeit von billigem russischem Gas aufgebaut. Damit hat Deutschland sich in eine gefährliche Abhängigkeit begeben; wie gefährlich, das spüren wir seit Kriegsbeginn enorm. Das darf uns nie wieder passieren.
Grundwerte der Demokratie verteidigen
Wir treten Putins Herausforderung entschlossen entgegen. Denn mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werden zugleich auch die Grundwerte unserer Demokratien bedroht. Wir verteidigen in der Ukraine ein Europa, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelernt hat, Konflikte durch demokratische Aushandlungsprozesse und nicht durch Gewalt zu lösen. Ein fundamentaler Fortschritt, von dem nicht zuletzt auch die exportorientierte deutsche Wirtschaft, Großunternehmen wie Mittelständler, profitiert haben. Diesen Fortschritt zu verteidigen ist der Kern der Auseinandersetzung, die wir als Gesellschaft bestehen müssen.
„Wir haben es im Kern mit einem schweren exogenen Energiepreisschock zu tun. Dessen Auswirkungen sind vielfältig und komplex.“
Unsere Speicher sind gut gefüllt
Wir überwinden dafür die Abhängigkeit von russischen Energieträgern in Windeseile. Seit Anfang September sind wir faktisch unabhängig von russischem Gas, unsere Speicher sind gut gefüllt und wir speichern weiter ein. Wir bauen eine eigene Importinfrastruktur für Flüssiggas auf und werden schon im Winter erste Terminals am Start haben. Wir beschleunigen den Ausbau der Erneuerbaren Energien und tun alles, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Wir widersetzen uns dem Versuch, unsere Gesellschaften zu destabilisieren. Indem wir entschieden handeln.
Rückgrat unserer Wirtschaft niemals aufs Spiel setzen
Als Politik sind wir dabei durch Inflation, drohende Rezession und strukturelle Transformation gleich dreifach gefordert. Wir haben es im Kern mit einem schweren exogenen Energiepreisschock zu tun. Dessen Auswirkungen sind vielfältig und komplex: Durch die hohen Energiepreise verlieren viele Haushalte Kaufkraft. Unternehmen, insbesondere energieintensive Unternehmen, werden massiv belastet, weil sie im aktuellen Umfeld keineswegs alle in der Lage sind, die höheren Preise weiterzugeben – selbst dann nicht, wenn sie nicht im internationalen Wettbewerb stehen. Hinzu kommt: Dieser Schock trifft unsere Wirtschaft in einer Zeit, in der sich viele Unternehmen ohnehin in einer angespannten Lage befinden: Corona wirkt nach, Lieferketten sind weiterhin gestört, der Fachkräftemangel ein immer drängenderes Problem, Unsicherheit setzt Fragezeichen hinter Investitionen. In dieser besonderen Situation wäre es töricht, den Markt einfach nur wirken zu lassen. Denn der Mittelstand, das Handwerk vor Ort, ist das Rückgrat unserer Wirtschaft – und dieses Rückgrat sollten wir niemals leichtfertig aufs Spiel setzen.
„In dieser besonderen Situation wäre es töricht, den Markt einfach nur wirken zu lassen.“
Rettungsschirm noch einmal erweitern
Ich bin deshalb überzeugt: Wir müssen jetzt alle finanzielle Kraft aufbringen, die nötig ist, um die gute Substanz unserer Wirtschaft und die Arbeitsplätze in diesem Land zu sichern und in die Zukunft zu führen. Dafür müssen wir als Staat zielgerichtet unterstützen und den Rettungsschirm für die Wirtschaft noch einmal erweitern. Wir haben mit dem Energiekostendämpfungsprogramm bereits im Frühjahr ein Sicherheitsnetz für energieintensive Unternehmen aufgespannt, die im internationalen Wettbewerb stehen. Davon haben auch viele mittelständische Unternehmen profitiert, die wir so in schwierigen Zeiten stärken konnten. Doch dies reicht angesichts der sich zuspitzenden Lage nicht mehr aus. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an einer Ausweitung des Programms, damit auch kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht unmittelbar dem Weltmarkt ausgesetzt sind, aber trotzdem aufgrund ihrer Energieintensität besonders unter den hohen Energiepreisen leiden, Unterstützung erhalten können. Diesen Schritt stimmen wir aktuell in der Bundesregierung ab. Ich bin mir sicher: So können wir den Unternehmen in unserem Land die nötige Kraft geben, um auch in diesen schwierigen Zeiten zu bestehen.
Sozialer Zusammenhalt darf nicht gefährdet werden
Gleiches gilt für die privaten Haushalte; auch dort sind massive Belastungen absehbar. Um den sozialen Zusammenhalt nicht zu gefährden, müssen wir auch hier zielgenau Unterstützung leisten. Wir haben dazu drei Entlastungspakete vorgelegt und sind mit diesen Maßnahmen noch nicht am Ende der Diskussion angelangt.
Klar ist: Wir werden nicht jede Kostensteigerung durch Steuergelder auffangen können. Aber wir werden alles daran setzen, die Stärke unserer Wirtschaft auch über die Krise hinaus zu bewahren. Entscheidend ist und bleibt dabei, eine Gasmangellage im Winter zu verhindern. Im Herzen dieser Krise steckt eine reale Knappheit, der wir in den letzten Monaten aber bereits erfolgreich entgegengewirkt haben. Wenn wir im Herbst und Winter weiterhin sparsam bleiben, haben wir eine gute Chance, ohne tiefere Einbrüche durch den Winter zu kommen. Auch dieses Ziel müssen wir bei unseren Maßnahmen immer im Blick behalten.
„Wir müssen als Staat zielgerichtet unterstützen und den Rettungsschirm für die Wirtschaft noch einmal erweitern.“
Wir denken – und handeln – dabei über die akute Energiekrise hinaus, zumal sie sich deutlich spürbar mit den Folgen und den Herausforderungen der Klimakrise vermischt. Die Klimakrise, das haben die meisten endlich erkannt, ist kein Thema, das mal mehr, mal weniger wichtig ist. Und wir wissen,– das muss man immer wieder betonen – dass uns keine Zeit mehr bleibt. Nicht übermorgen, nicht morgen, heute müssen wir die richtigen Weichen stellen. Heute müssen wir die drohende Klimakatastrophe mit den uns zur Verfügung stehenden Technologien bekämpfen.
Transformation der Wirtschaft einziger Weg
Hierfür ist und bleibt die Transformation der Wirtschaft der einzige Weg. Es gilt, die Modernisierung der Infrastruktur, die Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Es gilt, Wohlstand und sozial-ökologische Transformation zusammenbringen, indem wir das Ineinandergreifen von Wirtschaft und Klimaschutz organisieren. Wir werden auf der Langstrecke ökonomisch nur erfolgreich sein, wenn die Ökologie zum integralen Bestandteil wirtschaftlicher Prozesse wird. Dabei können sich die Unternehmen in Deutschland auf diese Bundesregierung verlassen: Wir werden verhindern, dass wir wieder in eine fossile Abhängigkeit von Autokratien rutschen. Und wir werden verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, die uns auf den Pfad zur Klimaneutralität führen. Gemeinsam kann die Transformation gelingen.
Dafür brauchen wir beides: eine Politik, die entschlossen genug ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und den richtigen Rahmen für die sozial-ökologische Transformation zu setzen. Damit aktivieren wir die Kreativität und Innovationskraft des Marktes, ohne die der notwendige Wandel nicht möglich sein wird. Und Unternehmen, die die Transformation dann vor Ort in jedem Betrieb und in jeder Produktionsstätte Wirklichkeit werden lassen. Wenn es uns gelingt, ein konstruktives Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft aufzubauen, können wir die zunehmende Bedrohung unserer liberalen Demokratie durch totalitäre Systeme abwehren, die Eindämmung der Erderhitzung erfolgreich bewältigen und die Krisen unserer Zeit gemeinsam überstehen.