Freier Welthandel mit Stahlschrott in Gefahr!
Seit knapp einem Jahr wird auf die EU-Ebene intensiv die Revision der Abfallverbringungsverordnung (VVA) in den politischen Gremien diskutiert und verhandelt. Bestandteil der Verordnung sind massive Exportbeschränkungen unter anderem von Stahlschrotten außerhalb EU. Doch welche Folgen hätte eine tatsächliche Umsetzung auf die der Recyclingwirtschaft und insbesondere auf die deutschen und europäische Stahlrecyclingindustrie?

Der Erhalt des freien Welthandels von Stahlschrotten ist für die deutschen und europäischen Recyclingunternehmen von existenzieller Bedeutung. So werden beispielsweise rund 80 Prozent des handelsüblichen Stahlschrotts von den europäischen Stahlwerken und Gießereien verwendet, während nur 20 Prozent in OECD- und Nicht-OECD-Länder exportiert werden, die auf den Recyclingrohstoff Stahlschrott angewiesen sind. Deutschland und andere EU-Länder sind mit ihren Stahlschrottexporten abhängig von den Abnehmern in der Türkei, in denen aus der EU importierter Stahlschrott überwiegend in Elektrostahlwerken eingeschmolzen und zu neuem Stahl verarbeitet wird. Die Stahlschrottexporte gehen aber auch teilweise in den Nahen Osten oder nach Fernost. Deutschland und Europa sind Stahlschrott-Nettoexporteure. Im Gegenzug kommt von dort auch wieder fertiger Stahl zurück. Entgegen einigen falschen Behauptungen werden Ausfuhrbeschränkungen die Verfügbarkeit von Recyclingrohstoffe für die energieintensiven Industrien in Europa direkt beeinträchtigen, wie dies in außereuropäischen Ländern zu beobachten ist.
Etwaigen Handelskrieg nicht riskieren
Der freie Welthandel von Stahlschrotten ist unerlässlich für die Marktpreisbildung. Während der überwiegende Teil der in der EU recycelten Abfälle in der EU verbleibt, tragen Ausfuhren von Rohstoffen aus dem Recycling in OECD- und Nicht-OECD-Länder direkt zum Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage bei. Dabei ist der Zugang zu internationalen Märkten für den Ausgleich der konjunkturellen Nachfrage von entscheidender Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Stahlschrott und andere unedle Metalle wie Stahl, Kupfer oder Aluminium sowie für Altpapier, wo das Angebot die Nachfrage in der EU übersteigt.
Sollten wir in Länder keinen Schrott mehr exportieren dürfen, aus denen wir im Gegenzug Primärrohstoffe importieren, dann müssen wir auch mit Reaktionen aus den Empfängerländern rechnen. Denn wenn wir kein Schrott mehr exportieren dürfen, dann kommt der Primärrohstoff auch nicht mehr nach Europa. Gesamtwirtschaftlich ist das für Rohstoffe nicht sinnvoll. Ein etwaiger Handelskrieg sollte daher nicht riskiert werden.
Sinnlose Benachteiligung von Recyclingstoffen vermeiden
Ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit aufgrund von undifferenzierten Ausfuhrbeschränkungen wird dazu führen, dass die gewonnenen Primärrohstoffe Vorrang vor Recyclingrohstoffen eingeräumt wird. Diese negativen Auswirkungen sind in den Marktpreisen nicht berücksichtigt. Darüber hinaus unterliegen Primärrohstoffe nach EU-Recht keinen Handelsbeschränkungen und machen daher energieintensive Industrien noch ressourcen- und kohlenstoffintensiver. Während nach Europa importierte Primärrohstoffe, wie Koks und Erze, nicht im CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) enthalten sind, sollen gleichzeitig klimafreundliche Stahlschrotte nicht mehr exportiert werden. Aus Sicht der Stahlrecyclingbranche stellt dies eine unverhältnismäßige und sinnlose Benachteiligung von Sekundärrohstoffen gegenüber Recyclingrohstoffen dar, gegen die aktuell nicht nur die BDSV, sondern alle Recyclingverbände europaweit Sturm laufen. Sollte die europäische Stahlindustrie in ihren Lobbybemühungen erfolgreich sein, sich selbst zu schützen, indem sie einen vermeintlich sicheren Zugang zu Stahlschrotten sichert und dabei die Grenzen für Recyclingrohstoffe zumacht, wird dies zu einer massiven Marktungleichheit führen.
Konkrete Auswirkungen auf Stahlrecyclingfirmen
Schließlich wird eine Überarbeitung der VVA, die das Recycling in Europa eher behindert als fördert, zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten in einer Branche führen, deren Wettbewerbsfähigkeit weitgehend von ihrer Fähigkeit abhängt, Recyclingrohstoffe zu vermarkten, um die Kosten einer ordnungsgemäßen Abfallbewirtschaftung zu decken. So hängen beispielsweise mehr als 50 Prozent des Umsatzes einiger Recyclingunternehmen von Exporten in Länder außerhalb der EU ab, einfach weil es in Europa keine ausreichende Nachfrage seitens der Stahlwerke und Gießereien gibt. Da die nachgelagerten Industrien, an die die EU-Recyclingindustrie verkauft, nur aus sehr wenigen Marktteilnehmern bestehen, werden Recyclingunternehmen, die mehrheitlich aus KMU bestehen, durch die überarbeitete VVA der Gnade dominanter, multinationaler Unternehmen ausgeliefert sein. Dies könnte dazu führen, dass eine Reihe von Recyclingunternehmen in der gesamten EU schließen müssen, was direkte und indirekte Arbeitsplatzverluste zur Folge hat und dazu führt, dass Abfälle nicht mehr recycelt, sondern verbrannt, deponiert oder auf illegalen Deponien abgelagert werden.
Auswirkungen auf Qualität
Stahlschrotte sind eine internationale Handelsware, bei der auch die Qualität der gehandelten Stahlschrotte eine wichtige Rolle spielt. Der freie Handel von Stahlschrotten trägt dazu bei, die Recyclingquoten auf dem weltweit höchstmöglichen Niveau zu halten beziehungsweise zu erhöhen. Das Aufbereiten hochqualitativer Stahlschrotte ist sehr aufwendig und kostet viel Geld, das die Stahlhersteller bereit sein müssen, zu zahlen. Ziel der deutschen und europäischen Stahlrecyclingindustrie ist es, sich weltweit als Vorreiter für innovative Stahlrecyclingtechnik und somit als qualifizierter Aufbereiter des Schrotts für die Welt zu positionieren. Hierfür brauchen wir mehr Forschung. Innovative Aufbereitungstechniken müssen weiterentwickelt werden.

Stahlschrott ist kein Abfall
Die Substitution von gewonnenen Primärrohstoffen durch Recyclingrohstoffe wie Stahlschrott spart Ressourcen, CO2 und Energie, unabhängig davon, welches Material ersetzt wird. Bei Kohlenstoffstahl kann die Stahlindustrie durch den Einsatz von Stahlschrott durchschnittlich 1,67 Tonnen CO2 je erzeugter Tonne Stahl einspare – bei rostfreiem Edelstahl sind dies sogar 4,3 Tonnen. Stahlschrotte sind somit wertvolle Recyclingrohstoffe, die nirgendwo auf der Welt entsorgt würden. Es spielt auch keine Rolle, wo das Klimaschutzprodukt Stahlschrott zum Einsatz kommt. Der Klimaschutz macht auch nicht an den Außengrenzen der EU Halt.
Exportbeschränkungen für Recyclingrohstoffe, die wie Stahlschrott als Abfall eingestuft werden, werden den Übergang zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten Wirtschaft erheblich behindern. Das Fehlen wettbewerbsfähiger Endmärkte für Rohstoffe aus dem Recycling wird sich negativ auf die Abfallsammlung, das Recycling und die Investitionen zum Ausbau der Recyclingkapazitäten auswirken. Hochwertige Materialien, die für das Recycling bestimmt sind, werden stattdessen auf Mülldeponien landen oder verbrannt werden. In Ermangelung geeigneter Marktbedingungen werden umweltschädliche gewonnene Rohstoffe gegenüber dem Recycling im Vorteil sein. Im Ergebnis gefährden die vorgeschlagenen Ausfuhrbeschränkungen somit die eigens von der EU festgelegten Recycling- und CO2-Einsparziele. Es gibt für die Stahlrecyclingindustrie auch keinen Exit durch das „End of Waste“-Kriterium. Dies würde nur bei 100 Prozent sortenreinen Neuschrotten funktionieren, etwa bei Resten aus dem Karosseriebau – bei Altschrotten aufgrund der enthaltenen rund zwei Prozent an Störstoffen allerdings nicht.
Was getan werden sollte
Nicht alles an den VVA-Vorschlägen wird von der Stahlrecyclingindustrie und den Recyclingverbänden kritisiert: Die Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e. V. (BDSV) und ihre Partnerverbände befürworten die in der VVA vorgesehenen, strengen Exportbeschränkungen für problematische Abfallströme wie gemischte Kunststoffabfälle und nicht aufbereitete elektronische Abfälle (WEEE), Altfahrzeuge (ELV), Reifen und Batterien. Diese Änderungen stellen sicher, dass nur problematische Abfallströme Exportbeschränkungen unterliegen, wenn dies aus Gründen des Umweltschutzes und der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt ist, während Rohstoffe aus dem Recycling, deren Verwendung in Produktionsprozessen in der EU und weltweit gefördert werden soll, nicht betroffen sind.
Eine wichtige Forderung der Stahlrecyclingindustrie ist, dass Stahlschrotte nicht dem Abfallregime unterliegen sollen. Wir brauchen in den VVA-Vorschlägen daher dringend eine Differenzierung zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen (wie Stahlschrotte), die aktuell aus uns unverständlichen Gründen nicht vorgesehen ist. Das vielfach als Drohkulisse heraufbeschworene Bild der brennenden E-Schrott-Haufen in Afrika, die von Kindern bearbeitet werden, hat nichts mit dem wertvollen Recyclingrohstoff Stahlschrott zu tun. Ferner sollte ein Abgleich stattfinden, welche Rohstoffe in Zukunft benötigt werden. Die Stahlrecyclingindustrie braucht einen freien funktionieren Markt, um den Aufwand, den sie betreibt, um qualitativ hochwertige Rohstoffe herstellen, finanzieren zu können. Hierfür sind massive Investitionen notwendig, für es auch Investitionssicherheit braucht.
EU-Entscheidungsträgern sollten zudem der Einführung von verbindliche Zielvorgaben für den Anteil von Recyclingmaterial in neuen Produkten zustimmen. Derzeit stammen nur zwölf Prozent der in der EU-Produktion verwendeten Materialien aus dem Recycling. Die vorgeschlagenen Ausfuhrverbote würden diesen Anteil noch weiter verringern. Stattdessen können verbindliche Zielvorgaben für recycelte Materialien die Marktnachfrage in der EU ankurbeln, die Abhängigkeit von internationalen Märkten verringern und so eine echte europäische Kreislaufwirtschaft fördern, die CO2-Emissionen verhindert.
Diese Forderungen richten sich neben den EU-Entscheidungsträger auch an die Verantwortlichen in der deutschen Politik. Letztlich müssen die auf der EU-Ebene beschlossenen Veränderung der VVA von der deutschen Politik umgesetzt werden. Die Konsequenzen der drohenden Einschränkungen des freien Welthandels mit wertvollen Recyclingrohstoffen, wie Stahlschrotte, müssen auch in Deutschland bekannt sein, und entsprechende Signale der deutschen Politik für den Erhalt des freien Welthandels mit Stahlschrotten an die EU-Entscheidungsträger gesendet werden.