Herausforderungen bestimmen
Familienunternehmen unterscheiden sich nicht nur von anderen Unternehmenstypen, auch die Welt der Familienunternehmen selbst ist vielgestaltig. Haniel mit seinen über sechshundert Gesellschaftern steht vor anderen Fragestellungen als Fressnapf mit Torsten Töller als Alleineigentümer. Jägermeister mit seiner Fokussierung auf ein Produkt muss andere Herausforderungen meistern als Unternehmen Oetker, das ein diversifiziertes Unternehmensportfolio bewirtschaftet.

Autor Prof. Dr. Peter May gilt als Deutschlands führender Berater von Familienunternehmen. Er ist Gründer der Peter May Family Business Consulting und Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management.
Jedes Familienunternehmen hat eine individuelle Struktur und steht vor individuellen Chancen und Herausforderungen. Aber wie können Familienunternehmer feststellen, welche das sind? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich im Jahr 2008 das 3-Dimensionen-Modell erfunden. Es beruht auf der Idee des Pattern Recognition und ordnet die Welt der Familienunternehmen entlang der drei Dimensionen Inhaber-Struktur, Governance-Struktur und Unternehmens- beziehungsweise Investment-Struktur. Zum Einstieg genügen drei einfache Fragen:
- Wem gehört das Unternehmen? (Inhaber-Struktur)
- Aus welcher Governance-Rolle beeinflusst die Familie ihr Unternehmen? (Governance-Struktur)
- Was genau ist unser Familienunternehmen? (Unternehmens- oder Investment-Struktur)
Die Verortung im 3-Dimensionen-Modell (siehe Abbildung 1) versetzt einen Familienunternehmer in die Lage, zu erkennen, welchen Typus sein Familienunternehmen verkörpert, welche Fragestellungen damit verbunden sind und mit welchen Konzepten diese Fragestellungen beantwortet werden können (Zusammenfassung siehe Abbildung 2). Darüber hinaus ist das 3-Dimensionen-Modell auch dann von Nutzen, wenn innerhalb des Systems eine Veränderung stattfindet. Jeder Wechsel von einem Typus zum anderen bedeutet eine Veränderung der Herausforderungen. Bisherige Herausforderungen verlieren an Bedeutung, dafür entstehen neue.

Die Inhaber-Struktur
Schauen wir uns zunächst die erste Dimension, die Inhaber-Struktur, an. Die Inhaberschaft an einem Familienunternehmen liegt entweder in der Hand eines Alleininhabers, von Geschwistern, von Vettern und Cousinen oder einer Familiendynastie mit mehr als dreißig Gesellschaftern in einer Generation.
Alleininhaber: Alleininhaberschaft hat den Vorteil, dass alle unternehmerischen Entscheidungen alleine und schnell getroffen werden können – ein großer Wettbewerbsvorteil. Dafür ist das Unternehmen im hohen Maße vom Inhaber abhängig. Die uneingeschränkte Machtfülle verleitet zu Machtmissbrauch, mögliche Schwächen finden kein Korrektiv und ein ungeplanter Ausfall kann schmerzliche Folgen haben. Die Reduktion der Abhängigkeit vom Alleininhaber ist die zentrale Herausforderung in dieser Phase.
Geschwister-Gesellschaft: Gehört das Unternehmen mehreren Geschwistern, ist die vormalige Abhängigkeit von einer Person reduziert. Dafür entsteht die Gefahr von Konflikten. Geschwister verbindet die gemeinsame Geschichte, aber auch der Wettbewerb um die elterliche Liebe. Die Geschwisterrivalität in den Griff zu bekommen und ihre Eskalation zu bekämpfen, ist das zentrale Thema in der Geschwister-Gesellschaft.
Vetternkonsortium: Wenn das Unternehmen einer überschaubaren Zahl von Vettern und Cousinen gehört, nimmt die Rivalitätsproblematik in aller Regel ab. Dafür müssen die Inhaber im Vetternkonsortium lernen, mit der zunehmenden Diversität im Eigentümerkreis umzugehen. Beteiligungshöhen, persönliche Vermögenssituationen, familiäre Beziehungen, Nähe zum Unternehmen und persönliche Interessen variieren immer stärker. Davon, wie gut es gelingt, mit dieser Diversität umzugehen, hängt der Erfolg eines Vetternkonsortiums ab.
Familiendynastie: Wächst die Zahl der Gesellschafter auf mehr als dreißig Personen in einer Generation, mutiert das Vetternkonsortium zur Familiendynastie. Mit der nunmehr marginalen Beteiligung jedes einzelnen Gesellschafters nimmt die Bedeutung der Diversität für das Unternehmen ab. Dafür wird es zunehmend schwieriger, den Zusammenhalt der Familie und die Begeisterung für das Unternehmen aufrecht zu erhalten. Dies zu organisieren, ist die Aufgabe in der Familiendynastie.
Die Governance-Struktur
In der zweiten Dimension, der Governance-Struktur,geht es um die Frage, aus welcher Rolle heraus die Inhaberfamilie den Einfluss auf ihr Familienunternehmen organisiert. Familienunternehmen gibt es inhabergeführt, familiengeführt, familienkontrolliert oder fremdgeführt.
Inhabergeführtes Unternehmen: Besteht vollständige Identität zwischen Inhaberschaft und Führungsmacht, handelt es sich um ein inhabergeführtes Familienunternehmen, dessen Erfolg in hohem Maße vom Inhaber-Unternehmer abhängt. Seine Fähigkeiten, aber auch seine Grenzen, werden erfolgskritisch, was sich besonders beim ungeplanten Ausfall bemerkbar macht. Die Reduzierung der doppelten Abhängigkeit vom Alleininhaber und Chefmanager sowie die Lösung der in der Regel gleich doppelten Nachfolge-Thematik sind die schwierigsten Herausforderungen.
Familiengeführtes Unternehmen: Im familiengeführten Unternehmen besteht nur noch eine Teilidentität von Inhaberschaft und Führungsmacht. Zwar wird das Unternehmen weiter von einem oder mehreren Inhabern geführt, doch gibt es jetzt auch inaktive Inhaber. Durch die unterschiedlichen Rollen entsteht eine Ämterrivalität zwischen den Inhabern, die insbesondere in der Geschwistergesellschaft mit ihren ohnehin vorhandenen Rivalitäten zu schweren Konflikten führen kann. Oft kommt es zu Interessenkonflikten zwischen den im Unternehmen tätigen und den nichttätigen Inhabern, zum Beispiel über die Höhe der Ausschüttung. Das gegebene Konfliktpotenzial muss mithilfe einer an den Prinzipien von Professional Ownership und Fair Process orientierten Governance auf ein beherrschbares Maß reduziert werden.
Familienkontrolliertes Unternehmen: Im familienkontrollierten Familienunternehmen hat sich die Familie aus dem Management zurückgezogen und beschränkt sich auf die Steuerung und Kontrolle aus dem Aufsichtsgremium. Erstmals treten nun Principal-Agenten-Probleme auf den Plan. Der familienfremde Manager verfolgt persönliche Ziele, die mit denen der Inhaber nicht natürlicherweise übereinstimmen müssen. Um erfolgreich zu bleiben, muss dieser Konflikt bestmöglich gemanagt werden. Die Familie muss geeignete Manager finden, die sich mit ihren Werten und Zielen identifizieren und als Treuhänder der Familieninteressen handeln, sie muss diese langfristig binden und so Anreize schaffen, dass Interessensidentität zwischen Inhabern und Managern entsteht.
Fremdgeführtes Unternehmen: Im fremdgeführten Familienunternehmen hat die Familie nicht nur die Führung, sondern auch die Kontrolle aufgegeben. Diese Erscheinungsform gleicht der typischen Publikumsgesellschaft, weil eine wirksame Kontrolle durch die Inhaber selbst nicht mehr stattfindet. Das fremdgeführte Familienunternehmen ist deshalb aus Inhabersicht eine höchstgefährliche Situation, die oft zum Verlust des Familienunternehmens führt. Deshalb muss sich die Familie jetzt zwingend mit der Frage beschäftigen, ob ein bestehendes Klumpenrisiko bei völliger Abhängigkeit von Dritten noch angemessen ist.

Unternehmens- oder Investment-Struktur
Kommen wir zur dritten Dimension, der Unternehmens- oder Investment-Struktur. Aus der Investment-Perspektive betrachtet ist ein Unternehmen entweder ein junges, ein fokussiertes oder ein diversifiziertes Familienunternehmen oder ein Family Investment Office.
Junges Unternehmen: Im jungen Familienunternehmen sind Chancen und Risiken extrem ausgeprägt. Die unternehmerische Kraft des Pioniers eröffnet Chancen, wie sie in späteren Phasen des Lebenszyklus nur selten wiederkehren. Aber auch die Herausforderungen sind unvergleichbar hoch. Das Unternehmen ist nicht nur stark vom Unternehmer und seiner Geschäftsidee abhängig, sondern aufgrund des anfänglich geringen Geschäftsvolumens und häufig unzureichender Professionalität auch in hohem Maße verletzbar.
Fokussiertes Unternehmen: Die meisten Familienunternehmen in Deutschland sind auf eine Kernaktivität fokussiert. Fokussierungsstrategien können sehr erfolgreich sein, wenn man sich auf das beschränkt, was man besser als andere kann. Aber sie bergen ein hohes Risiko, wenn die Familie kein sonstiges Vermögen aufgebaut hat. Eine angemessene Diversifikation in der Vermögenssphäre zu finden, wird deshalb zur Schlüsselfrage im fokussierten Familienunternehmen.
Diversifiziertes Unternehmen: Diversifizierte Familienunternehmen sind in mehrere, voneinander getrennte Unternehmen investiert, wobei (überwiegend) ein unternehmerischer Führungsanspruch geltend gemacht wird. Das Risiko der Fokussierung ist hier begrenzt, dafür werden ganz andere und neue Fähigkeiten gebraucht. Ohne ein professionelles Portfolio-Management kann ein diversifiziertes Familienunternehmen nicht erfolgreich sein. Hinzu kommt, dass der Erfolg durch die Aufsplitterung knapper Ressourcen erschwert wird. Nicht zu vergessen ist, dass mit einer diversifizierten Familienholding in der Regel eine geringere emotionale Bindekraft erzeugt wird, als dies bei einem fokussierten Familienunternehmen der Fall ist.
FamilyInvestmentOffice: Immer häufiger agieren Familienunternehmen inzwischen auch als Family Investment Offices. Diese verhalten sich überwiegend nicht als aktive Unternehmer, sondern als Investoren und investieren nicht nur in Minderheitsbeteiligungen an Unternehmen, sondern auch in andere Assetklassen wie etwa Aktien, Immobilien oder Private Equity. Die Risikodiversifikation ist hier auf die Spitze getrieben. Aber es braucht auch gänzlich andere Fähigkeiten als zuvor und das Thema der emotionalen Bindekraft wird zum Problem.
Einfache Handhabung
Die Arbeit mit dem 3-Dimensionen-Modell ist im Grunde einfach. Zunächst verortet man anhand der jeweiligen Definition den eigenen Standort innerhalb der drei Dimensionen. Dann leitet man daraus die potenziellen, mit dem Standort typischerweise verbundenen, Chancen und Herausforderungen ab und ermittelt, wie hoch die Relevanz der benannten Themen für das eigene Familienunternehmen tatsächlich ist. Und dann macht man sich an die Arbeit, die relevanten Themen gemeinsam zu bearbeiten, um vorhandene Potenziale und Chancen bestmöglich zu nutzen und Risiken auszuschalten.