Im Wandel der Zeit
Töchter sind in der Nachfolge noch immer unterrepräsentiert, obwohl inzwischen einiges in Bewegung gekommen ist. Doch woran liegt es, dass viele Töchter gegenüber Söhnen beim Generationswechsel schlechtere Karten haben?

Studien wie die des IfM Bonn (2021) belegen, dass von 2022 bis 2026 für rund 200.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland die Übergabe in die nächste Generation ansteht. Nicht nur das steigende Alter der Inhaber, sondern auch die Dringlichkeit der Umsetzung relevanter Zukunftsthemen wie Digitalisierung erzeugen einen hohen Handlungsbedarf. Nachfolgerinnen und Nachfolger werden dringend gebraucht. Insbesondere für familiengeführte Unternehmen, die zumeist auf familieninterne Übergabelösungen setzen, ist das eine große Herausforderung. Es geht um nicht weniger, als den Fortbestand ihres Unternehmens. Eine Zukunftsperspektive stellt hier die weibliche Nachfolge dar. Immerhin erhöht diese Option den Kreis geeigneter Kandidaten um das Doppelte. Damit stellt sich die Frage, warum Töchter in der Nachfolge immer noch unterrepräsentiert sind.
Weibliche Nachfolge wird sichtbarer
Wie viele Töchter die Nachfolge tatsächlich antreten, ist nicht eindeutig belegt. Die Zahl schwankt zwischen 20 und 40 Prozent, je nach Studie. Grund dafür sind die geringe Anzahl an repräsentativen Studien und die Komplexität des Forschungsfeldes Familienunternehmen an sich. Der Blick in die Praxis erlaubt jedoch eine durchaus positive Prognose. Nicht nur in der Presse werden immer mehr erfolgreiche Nachfolgen durch Töchter sichtbar. Auch Initiativen wie der „She succeeds Award“ des Verbands deutscher Unternehmerinnen, welcher Vorbilder in der weiblichen Nachfolge auszeichnet, belegen ein deutliches Wachstum in diesem Bereich. Von 2018 bis 2022 verdoppelte sich hier die Anzahl der nominierten Nachfolgerinnen. Auch die Bekanntheit, Größe und Vielfalt der weiblich geführten Unternehmen nimmt deutlich zu.
Von Gleichverteilung noch weit entfernt
Trotz dieser positiven Signale ist Deutschlands Mittelstand von einer Gleichverteilung beim Thema Inhaberschaft noch weit entfernt. Vor allem, wenn das Kriterium der „operativen Entscheidungsmacht“ als Messgröße zählt. So attestiert eine Studie der Allbright Stiftung (2020) den 100 größten deutschen Familienunternehmen eine deutliche „Frauenarmut“ und einen regelrechten „Blind Spot“ beim Thema Karrierechancen für Frauen. Die Anzahl der in die Geschäftsführung berufenen Frauen liegt laut der Studie bei sieben Prozent. Geht es um echte Macht, scheinen Frauen nach wie vor einen erschwerten Zugang zu haben. Mit Blick auf den Nachfolgemangel in deutschen Unternehmen und der weiblichen Nachfolge als naheliegende Option, um dieses Problem zumindest erheblich zu verringern, stellt sich zu Recht die Frage nach den Gründen dieser einseitigen Betrachtung von Nachfolge durch die Beteiligten. Wieso räumt man bei der Planung des Generationenwechsels den Töchtern nicht die gleichen Chancen wie den Söhnen ein?
Ein Teil der Antwort liegt in den Traditionen von Familienunternehmen. Diesen folgend, wurden Unternehmen über Jahrhunderte bevorzugt an den ältesten Sohn übergeben. Dass ein großer Teil der weiblichen Nachfolgen in der zweiten Generation realisiert wird, ist ein Hinweis darauf, dass vor allem ältere Unternehmen immer noch stark an der Tradition der männlichen Nachfolge festhalten. Wenn eine Frau in die Fußstapfen tritt, gibt es weitere Herausforderungen, die entstehen. Da Töchter, anders als Söhne, oft nicht von Beginn an für die Nachfolge vorgesehen sind, orientiert sich ihre Ausbildung an individuellen Interessen und nicht am Unternehmensgegenstand. Häufig kommt der Wunsch, ins familieneigene Unternehmen zu gehen, erst später und sie steigen „quer“ ein. Im Unterschied zum Übergeber stecken Töchter dann in Bereichen wie Technik operativ oftmals nicht tief drin, sondern besetzen die Funktionen mit geeigneten Experten. Sie selbst konzentrieren sich auf die Managementaufgaben. Auch die Vereinbarung von Familie und Beruf ist für Töchter eine größere Herausforderung als für Söhne. Studien zeigen, dass sich vor allem in der Familie tradierte Rollenbilder hartnäckiger halten und den Frauen immer noch die Hauptverantwortung (63 Prozent) für Familienaufgaben zugeschrieben wird. Ein Unternehmen zu führen und gleichzeitig den Familienaufgaben gerecht zu werden, bedeutet vor allem bei dieser ungleichen Verteilung eine große Kraftanstrengung. Da Rollenvorbilder fehlen, müssen Nachfolgerinnen ihren individuellen Weg der Gestaltung finden. Wie gut das gelingt, hängt häufig von der Bereitschaft der Partner und Familien ab, neue Rollenmodelle zuzulassen und sich für die Familienaufgaben stärker zu engagieren.
Die Chancen überwiegen deutlich
Bei allen Herausforderungen für die Nachfolgerinnen: Die Chancen weiblicher Nachfolge überwiegen bei Familien und Unternehmen jedoch deutlich. So herausfordernd zum Beispiel die Verbindung von Familie und Führung auch sein kann, bietet eine Position an der Spitze auch deutlich mehr Flexibilität für Gestaltung und eigene Entscheidungen. Ein Trend, der sich in der Nachfolge immer mehr durchsetzt, ist die Übernahme im gemischten Doppel. Bruder und Schwester oder auch Lebenspartner teilen sich die Verantwortung. Auf diese Weise werden sowohl Führung als auch Entscheidungen vielfältiger. Angesichts der wachsenden Komplexität wirtschaftlicher Themen ist die geteilte Führung ein Zukunftsmodell in Generationenwechseln.
Der Blick in die weiblich geführten Unternehmen zeigt zahlreiche Punkte, die sich mit den aktuellen Werten von New Leadership oder New Work decken. Nachfolgerinnen legen großen Wert auf die Themen Personal, Arbeitgeber-Marke, Führungskultur, Mitbestimmung und Gestaltung und nutzen die offene Kommunikation als Motor für diesen Kulturwandel. In vielen dieser Unternehmen stehen Zukunftsprojekte in den Kategorien Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Gemeinwohl und Eigenverantwortung ganz oben auf der Liste. Soft Skills wie Dialogfähigkeit, Kooperation und Empathie nehmen auch einen positiven Einfluss auf den Übergabeprozess an sich. Nachfolgerinnen beziehen frühzeitig alle Beteiligten in die anstehenden Veränderungen mit ein und gestalten den Wechsel im engen Dialog mit dem Übergeber. Das ist vor allem mit Blick auf den schwierigen Prozess des Loslassens ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Nachfolge.
Diversität wird gefördert
Dass die Töchter selbst den Schritt an die Spitze gewagt haben, fördert fast automatisch die Diversität. So zeigen Studien, dass in Unternehmen, in denen Frauen aus der Familie mitbestimmen, der Anteil von Frauen in Führungspositionen deutlich zunimmt. Das liegt an der positiven Vorbildwirkung, aber auch an der veränderten Unternehmenskultur, die weibliche Mitbestimmung willkommen heißt. Mittlerweile gibt es weltweit zahlreiche Studien, die den Zusammenhang von Diversität und dem Anstieg von Umsätzen, Zufriedenheit, Innovation und Motivation nachweisen.
Für die Frage, warum Töchter in der Nachfolge immer noch unterrepräsentiert sind, lassen sich somit keine allgemeingültigen, sachlichen Gründe unternehmerischer oder persönlicher Art finden. Vielmehr ist die weibliche Nachfolge ein Kulturwandel, der Veränderungen auf allen Ebenen (Gesellschaft, Familienunternehmen, Familie und Individuum) benötigt. Diese brauchen Zeit. Die steigende Zahl an erfolgreichen, sichtbaren Nachfolgen durch Frauen wird die Entstehung neuer, gleichberechtigter Modelle von Generationenwechsel und Unternehmertum unterstützen.
Was Töchter beachten sollten
- Kommunizieren Sie Ihren Wunsch proaktiv. Warten Sie nicht, dass Sie gefragt werden. Gerade wenn der Gedanke, an die Tochter zu übergeben, nicht von Beginn an präsent ist, sollten Sie Ihren „Hut aktiv in den Ring werfen“.
- Beziehen Sie frühzeitig wichtige Akteure (Familie, Geschäftsführung, Gremien etc.) in die Kommunikation ein.
- Suchen Sie sich externe Unterstützung. Nicht nur im Nachfolgeprozess an sich, auch für den Prozess der inneren Klarheit kann ein Sparringspartner hilfreich sein. Umso genauer Ihre eigenen Visionen und Ziele in Bezug auf das Familienunternehmen sind, umso überzeugender können Sie diese auch nach außen vertreten.
- Bremsen Sie Ihren Perfektionismus. Der Wunsch, alle Fragen und Unsicherheiten in Bezug auf die Nachfolge bereits vorab zu beseitigen, ist nachvollziehbar und gleichzeitig unmöglich. „Schritt für Schritt“ ist hier eine gute Devise. Es ist sinnvoll, einen Nachfolgefahrplan zu haben. In der Praxis darf sich dieser jedoch situativ auch anpassen.
- Wie gestalten Sie Ihren Einstieg? Ein separates Projekt ist zum Beispiel eine Möglichkeit. Auf diese Weise lernen Sie Strukturen und Personen kennen, ohne direkt Einfluss zu nehmen und Sie haben bereits erste sichtbare Erfolge zu verzeichnen. Stellen Sie sich die Frage: „Was sollen die Mitarbeitenden über mich als Nachfolgerin sagen?“, und gestalten Sie die Rolle dementsprechend von Beginn an bewusst.
- Konzentrieren Sie sich nicht auf die Dinge, die Sie nicht können. Fragen Sie sich, welchen Mehrwert Sie im Unternehmen stiften können und tun Sie dies mit Überzeugung und Begeisterung.
- Denken Sie frühzeitig den Ausstieg der übergebenden Generation mit. Loszulassen ist eine schwierige Aufgabe. Wann wird es so weit sein? Welche Aufgaben und Rollen eignen sich für danach? Sollen Wissen und Erfahrungen weiterhin zugänglich für das Unternehmen sein?
- Egal ob Sie die erste Wahl sind oder nicht – folgen Sie mit Überzeugung nach. Leben Sie Ihre eigenen Werte und verknüpfen Sie Ihre Lebensziele mit denen des Unternehmens. Nachfolge bedeutet authentisch zu sein und die Rolle mit Überzeugung zu leben.