Köpfe durchlüften – Denkbarrieren aufbrechen
Im Wettlauf um Kunden und Markterfolg reichen reines Fachwissen sowie Branchenkenntnisse allein nicht aus. Es braucht eine systematische Anwendung von Kreativität, wie zum Beispiel durch die Walt-Disney-Methode.

Kreativität ist die treibende Kraft unserer Kultur. Unserem schöpferischen Denken sowie dem Drang nach Neuem und Vollendung haben wir es zu verdanken, dass wir nicht mehr in Höhlen leben und uns von Beeren und Früchten ernähren müssen. Kreativität ist das Grundpotenzial von uns Menschen. Es ist eine Fähigkeit, über die alle Menschen verfügen.
Erstickt in der Routine
Damit Kreativität zum Wachstumsfaktor wird, braucht es Aufgeschlossenheit gegenüber allem Neuen. Doch beim Blick in das Innenleben von Unternehmen fällt auf: Oft funktioniert das nicht. Die Offenheit, die Neugier der Mitarbeitenden sind verloren gegangen, erstickt in Routine. So manches schwungvolle Vorhaben wurde von Ideenkillern bereits im Keim erstickt, weil man in bestimmten Denk- und Verhaltensmustern gefangen ist. So muss es vermutlich auch dem Jungunternehmer Walt Disney ergangen sein. Als Zeichner von Cartoons hatte er diverse berufliche Rückschläge erlitten und musste sich dringend etwas Neues einfallen lassen, um wieder auf Erfolgskurs zu kommen. Während einer Zugfahrt im Jahr 1926 soll ihm die kreative Idee mit der Figur der Micky Maus gekommen sein. Doch für den geplanten „stummen“ Zeichentrickfilm fand er keinen Verleih. Bis ihm die weitere, zündende Idee kam, daraus einen Tonfilm zu machen, und so synchronisierte Walt Disney dann „Steamboat Willie“ mit Musik. Einer seiner engsten Mitarbeitenden war Robert B. Dilts, welcher einst über Walt Disney sagte, dass es eigentlich drei Walts gab: den Träumer, den Realisten und den Kritiker. Er konnte Visionär und Ideenlieferant sein, war aber auch Realist sowie Macher, und hatte die Gabe, seine Gedanken auch immer wieder infrage zu stellen. Genau dieser Wechsel der Perspektiven ist das Besondere an der Walt-Disney-Methode. Wenn es darum geht, festgefahrene Denkstrukturen zu lösen, bietet dieser Kreativprozess die Möglichkeit, Herausforderungen aus einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen und zu lösen.
Was wäre, wenn …?
Wie funktioniert das? Die Methode basiert auf den drei Rollenverständnissen, die ja anscheinend auch Walt Disney einnehmen konnte. Da gibt es zunächst den Träumer, dann folgt die Position des Realisten und zuletzt die des Kritikers. Wie in einem Rollenspiel gestaltet man für diese drei Positionen den Workshop-Raum. Falls der vorhandene Platz nicht groß genug ist, nimmt man drei kleinere Räume und dekoriert diese entsprechend. Für die kreativen Träume gibt es Lounge-Atmosphäre, anregende Düfte und farbige Lichter, vielleicht Musik. Wenn es um die Realität geht, dann ist der Raum zum Beispiel mit Stoffen in Karomustern geschmückt, während bei der Kritik rote Tücher und ähnliche Symbole hängen.
Die unterschiedlichen Positionen werden aktiv durch die Teilnehmenden eingenommen, sie sind in der jeweiligen Rolle verhaftet und argumentieren ausschließlich aus diesem Blickwinkel heraus. Die Teilnehmenden wechseln während der Ideenfindung mehrfach ihre Position, um die Fragestellung aus immer anderen Ansichten zu betrachten. Das geht so lange, bis ein ausreichend guter Zustand einer Idee entwickelt wurde. Für jede der Positionen sollte man mindestens 20 Minuten einkalkulieren.
Die Walt-Disney-Methode kann alleine oder im Team genutzt werden. Die besten Ergebnisse erzielt man mit einer kleinen Gruppe von sechs bis neun Personen. Ein Moderator ist empfehlenswert. Dieser muss dafür sorgen, dass die Teilnehmer ihrer Rolle treu bleiben und regelmäßig die Positionen in der richtigen Reihenfolge wechseln. Das Entscheidende der Walt-Disney-Methode ist, zu einer Fragestellung aus der Perspektive aller drei Rollen entsprechende Ideen zu generieren.
Gestartet wird mit der Position des Träumers. Hier werden Gedanken und Ideen entwickelt, ohne diese in irgendeiner Form zu werten. Alles ist erlaubt und hat seinen Platz. Typische Fragen lauten: Was wäre schön? Was wäre die ideale Situation? Was ist mein Traum dazu? Was fällt mir Verrücktes und Ausgefallenes dazu ein?
„Es gibt gewisse Dinge, die unser Zeitalter nötig hat. Es braucht vor allem mutige Hoffnung und den Impuls der Kreativität.“ – Bertrand Russell, 1872-1970, Philosoph
Die daraus entstehenden Ideen werden dann vom Realisten umgeformt, sodass sie zu ambitionierten, aber umsetzbaren Konzepten werden. Die Arbeitsfragen hier lauten zum Beispiel: Wie kann realisiert werden, was der Träumer sich ausgedacht hat? Was fühlt man bei dieser Idee? Was wird für die Umsetzung benötigt (Material, Menschen, Wissen, Techniken etc.)? Welche Grundlagen sind schon vorhanden? Was muss getan oder gesagt werden? Kann der Ansatz getestet werden?
Anschließend wird in der Rolle des Kritikers geprüft. Dabei geht es um Fragen wie: Kann das realisiert werden? Was wäre möglich? Was kann gar nicht funktionieren? Was wurde übersehen? Was ist einfach nur Träumerei? Welches sind Chancen und Risiken? Was könnte verbessert werden?
Die hier aufgezeigten Fragen und Antworten führen zu Schwachpunkten, die dann wieder an die erste Position des Träumers weitergegeben werden. Dieser Kreislauf kann so oft wiederholt werden, bis das Ergebnis die Ausgangsfragestellung beantwortet. Wichtig ist, dass alle Teilnehmer immer die identische Position innehaben, sich dabei unterstützen und nicht in ihrer Ideenfindung gegenseitig ausbremsen.
Gute Bedingungen für Ideen und Innovationen
Wie wertschöpfend es ist, wenn Führungskräfte die kreativen Potenziale in den Unternehmen fördern und für solche Methoden auch Freiraum schaffen sowie Handlungsspielraum ermöglichen, zeigen zwei Beispiele aus dem Mittelstand.
Das Unternehmen Konrad Hornschuch, heute ein Teil der Continental AG, ist ein führender Hersteller von Folien, Hightech-Synthetics und Kunstleder. In den mehr als 20 Jahren meiner Beratertätigkeit für diese Firma wurde auch die Walt-Disney-Methode eingesetzt. Zum Beispiel um im „New Business Development“ neue Chancen zu entdecken und von der Idee zur Innovation zu kommen. Auch hier hat sich das „Kreislauf-Vorgehen“ dieser Methode bewährt. Die Problem- beziehungsweise Fragestellung nach neuen Geschäftsfeldern wurde aus der Perspektive aller drei Rollen beleuchtet. Letztlich entstanden daraus neue Vorgehensweisen im Bereich der Fassadengestaltung. In internen Folgeprojekten wurde dann auch die Entwicklung neuer Oberflächenmaterialien forciert, die mittlerweile für bequemes Sitzen in Sportstadien rund um den Globus sorgen. Dieser Stoff ist extrem UV-beständig, witterungsbeständig und schmutzabweisend. So hinterlassen selbst Essensreste oder Schuhabdrücke kaum Spuren auf den Sitzen. Spezielle Farbpigmente reflektieren außerdem bis zu 80 Prozent der UV-Strahlung. Dadurch heizen sich die Polster weniger auf und das Material bleibt bis zu 15 °C kühler als andere Textilien. Die positiven Erkenntnisse aus einem Strategieworkshop führten bei der Alko Group, einem bayerisch-schwäbischen Global Player, sogar dazu, dass man im Anschluss für längere Zeit einen speziellen ausgestatteten „Walt-Disney-Workshopraum“ im Bürogebäude einrichtete.
Viele Ideen werden im Keim erstickt, bevor ihre kreativen Köpfe überhaupt die Chance haben, sie vollständig auszuformulieren. Kreativität heißt, Neues zu denken. Innovation heißt, Neues zu tun. Die Walt-Disney-Methode ist dabei ein interessanter Hebel.