Lehren aus der Krise ziehen
Das 56. Symposium Einkauf und Logistik vom 8. bis 10. November stand ganz im Zeichen der enormen Probleme rund um Materialknappheit und Lieferketten. Unter dem Motto "#newhorizons – den Blick auf das Next Normal richten!" diskutierten 900 Teilnehmer auf einer virtuellen Plattform die Chancen und Risiken gegenwärtiger und künftiger Beschaffungsstrategien.

Das Symposium Einkauf und Logistik ist die größte Netzwerkveranstaltung des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf & Logistik (BME).
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Einkauf, Logistik und Supply Management sind gravierend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig darüber, dass die Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten noch bis weit ins nächste Jahr zu spüren sein werden. „Die Corona-Krise hat die Schwachstellen in den Beschaffungsprozessen der Unternehmen offengelegt. Jetzt geht es für den Einkauf darum, die richtigen Lehren daraus zu ziehen“, betonte Gundula Ullah, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. Die Bildung von Taskforces, der konsequente Einsatz digitaler Technologien unter Verwendung von Data Analytics und KI, strenges Kostenmanagement sowie vorausschauendes Risiko- und Lieferantenmanagement seien deshalb ein Must-have. Mit diesen Instrumenten könne man Störungen in den Betriebsabläufen frühzeitig erkennen, Schaden vom eigenen Unternehmen abwenden und nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen.
Schockwellen auf Lieferketten
In den täglichen Plenen, interaktiven Workshop-Formaten und themenbezogenen Chat-Foren sowie den Statements der mehr als 140 Referentinnen und Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik spielten die Analyse der vergangenen anderthalb Corona-Jahre sowie ein erster vorsichtiger Blick in die Post-Corona-Welt eine große Rolle. Es wurde daran erinnert, dass im Verlauf der Pandemie unterschiedliche Schockwellen auf die Lieferketten einwirkten. So habe es zu Beginn der Corona-Krise vor allem auf der Nachfrageseite einen erhöhten Bedarf – beispielsweise von Hygiene- und Desinfektionsmaterial – gegeben, der nicht sofort abgedeckt werden konnten. In der zweiten Phase waren viele Lieferanten aufgrund staatlicher Lockdown-Maßnahmen entweder nicht mehr erreichbar oder in ihrem Bewegungsspielraum stark eingeschränkt. International eng vernetzt litten sie vor allem unter dem Shutdown ganzer Volkswirtschaften, in deren Folge zeitweilig Grenzen geschlossen sowie Straßen und Häfen gesperrt wurden.
Risikomanagement entscheidend
„2020 und 2021 haben deutlich gezeigt, wie fragil unsere globalen Wertschöpfungsketten geworden sind. Gleichzeitig lernen wir die Relevanz von Risikomanagement neu zu schätzen. Das Problem dabei ist, dass dieses wichtige Instrument zur Krisenabwehr komplett unattraktiv ist“, sagte Dr. Julia Hartmann, Professorin für nachhaltiges Supply Chain Management an der EBS Business School. Denn damit lasse sich kein einziger neuer Kunde gewinnen und bringe dem Einkauf auch keinerlei Einsparungen. Ganz im Gegenteil. „Schließlich geht es darum, Second Sources aufzubauen und Notfallpläne zu entwickeln.“ All das sei im Tagesgeschäft in der Vergangenheit untergegangen oder wäre stets anderen, dringlicheren Themen geopfert worden. Hier sei aber mittlerweile vielen klargeworden, dass das langfristig nicht so bleiben könne. Das gelte vor allem für die Liefermärkte, in denen es derzeit anhaltende Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten gibt. Für Bernd Lüddemann, Head of Procurement Electronics & Projects der SEW Eurodrive GmbH & Co KG, ist das Risikomanagement ein fester Bestandteil des Lieferantenmanagements. Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Risikomanagement sind für ihn die richtige Lieferantenauswahl, Frühwarnindikatoren, etwa eine Bonitätsüberwachung, ein effektives Lieferantenmanagement sowie schnelle Entscheidungen des Einkaufs, wenn Maßnahmen gegen ein Risiko ergriffen werden müssen.
Viel diskutiert wurde auch über die Frage, wie der Einkauf Krisen am besten meistern kann. Bart Ader, Vice President Corporate Supply Chain der Mann + Hummel-Gruppe, nannte in diesem Kontext eine gut funktionierende Kommunikation als ein erfolgreiches Mittel zur Krisenbewältigung seines Unternehmens. So gebe es jetzt täglich Taskforce-Meetings, einen Management Report-Out sowie regelmäßige enge Abstimmungsrunden zwischen Einkauf und Logistik.
Nachhaltigkeit wird immer wichtiger
Eines der Top-Themen des diesjährigen BME-Symposiums war das Ringen des Einkaufs um mehr Nachhaltigkeit. Großes Interesse fand gleich am ersten Kongresstag ein Vortrag zum Thema „Fit für das Lieferkettengesetz – nachhaltige, transparente Lieferketten schaffen“. Simon Jaehnig, Head of Sales & Partner Management der Integrity Next GmbH, stellte Ergebnisse einer gemeinsam mit dem BME durchgeführten Umfrage vor. Danach seien bereits viele Einkaufsabteilungen auf einem guten Weg. So antworteten 83 Prozent der Befragten auf die Frage, ob sie bereits heute eine Evaluierung hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten bei ihren Lieferanten durchführten mit „Ja, teilweise“ (47 Prozent), „in Planung“ (21 Prozent) und „Ja, bei allen unmittelbaren Lieferanten“ (15 Prozent). Bei der Implementierung eines Risikomanagementsystems zur Identifizierung von Nachhaltigkeitsrisiken, beispielsweise Menschenrechtsverletzungen, in ihren Lieferketten waren es 57 („Ja“ 16, „in Planung“ 41) Prozent. Den Umfrage-Ergebnissen von BME und Integrity zufolge trauen die Unternehmen ihrer Beschaffung zu, Enabler für nachhaltige, transparente Lieferketten zu sein. 59 Prozent der Befragten gaben die Einkaufsabteilung als den Bereich an, der in ihrem Betrieb die Führung bei Schaffung nachhaltiger, transparenter Lieferketten übernimmt.
Auf dem Abschlussplenum des diesjährigen BME-Symposiums stand die Frage im Raum, welche Erwartungen die CPOs namhafter Unternehmen an den Einkauf der Zukunft haben und welche Strategien sie damit verbinden. Die Zukunft erfolgreicher Geschäftsbeziehungen liegt nach Meinung vieler Referenten in der intelligenten und intuitiven Vernetzung mit den Lieferanten. Der digitale Beschaffungsprozess mit systemischer Anbindung an die Lieferanten sei alternativlos. Ralf Schulz, Partner der H & Z Unternehmensberatung AG, sagte zur Zukunft des Einkaufs: Dieser stehe „vor neuen Herausforderungen, die ein neues Zielsystem, ein neues Denken und eine neue Ausrichtung erfordern“. Damit gewinne der Einkauf aber auch eine neue Daseinsberechtigung. Er müsse künftig widerstandsfähige Prozesse, Strukturen und Fähigkeiten aufbauen; gleichzeitig flexibel sein und sich an die ständig wechselnden Umfelder anpassen. Vor allem aber müsse er „eine echte Wirkung für das Geschäft mitbringen“. Dazu gehöre die Generierung von Wertbeitrag und von Nachhaltigkeit.