Lieber Bummelzug statt ICE
Steigende Rohstoff- und Energiepreise sowie nach wie vor gestörte Lieferketten setzen vielen Firmen zu. Wie schafft es da die Einkaufsabteilung eines Familienunternehmens, die Forderungen seiner Lieferanten in einem noch einigermaßen erträglichen Rahmen zu halten? Verhandlungsexperte Frieder Gamm sieht vor allem in der Beziehungspflege einen Schlüssel zum Erfolg.

Inwieweit sind Einkäufer in Familienunternehmen in einem derzeit sehr belasteten Marktumfeld den Forderungen der Lieferanten mehr oder weniger ausgeliefert beziehungsweise wie können hier inhabergeführte Firmen punkten?
Klassische Familienunternehmen pflegen zu ihren Lieferanten in der Regel eine langjährige und vertrauensvolle Partnerschaft. Oftmals gibt es darüber hinaus enge persönliche Verbindungen, etwa wenn der Inhaber des Familienunternehmens mit dem Chef des Lieferanten langjährig bekannt ist. Je schwieriger die Situationen am Markt ist und je anspruchsvoller und komplexer das Thema Supply Chain wird, desto wichtiger werden solche gelebten und gepflegten Beziehungen. Denn die Entscheidung eines Lieferanten, wer jetzt das begehrte Produkt oder den Rohstoff bekommt, hängt nicht allein vom Preis ab. Er entscheidet in vielen Fällen auch nach Sympathie. Das heißt: Derjenige, der eine echte gelebte und wertschätzende Partnerschaft lebt, hat auch noch in schwierigen Zeiten die Chance, beliefert zu werden. Da haben Familienunternehmen gegenüber Großkonzernen, in denen die Einkäufer auch in kritischen Lagen immer nur nach einer vom Controlling vorgegebenen Zahl agieren dürfen, einen Vorteil. Ob da gegenseitig ein gutes Verhältnis besteht, ist bei Konzernen meist zweitrangig. Auch die meisten amerikanische Firmen, die händeringend Lieferanten suchen, handeln zahlen- und nicht beziehungsorientiert. Natürlich muss man auch sehen, dass klassische Familienunternehmen vom Volumen her nicht so stark sind wie ein großer Player. Deshalb ist es umso wichtiger, die Beziehungskarte auszuspielen.
Hätten Sie da ein paar Beispiele parat?
Ich hatte etwa während der Stahlkrise eine Einkäuferin eines Familienunternehmens in einem Training, die das schön auf den Punkt gebracht hat: „Obwohl ich die Macht hatte, habe ich meine Stahllieferanten jahrelang immer gut gepflegt und behandelt. Jetzt in der Krise bekomme ich von denen immer noch Stahl, verhandeln um Preise kann ich allerdings weniger.“ Hier war dann zumindest die Liefersicherheit gewährleistet. Nehmen wir als weiteres Beispiel die Firma Trigema als klassischen Vertreter eines Familienunternehmens: Herr Grupp vermittelt in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass er großen Wert auf ein von Respekt und Loyalität geprägtes Verhalten legt – in guten wie schlechten Zeiten. Da sprechen wir von Reziprozität, von Gegenseitigkeit, ganz nach dem Motto: Bist du gut zu mir, bin ich gut zu dir.

Einen weiteren Punkt zum Beziehungsaufbau setzen wir als Berater in diesem Kontext sehr intensiv ein: Wir nehmen uns beim Small Talk zu Beginn eines Gesprächs – der typischerweise zwei bis fünf Minuten dauert – bis zu einer Stunde Zeit. Geredet wird dort nicht nur über Belangloses, sondern auch über geschäftliche Dinge. Wir fragen, hören zu, hören heraus. Und nutzen diese Informationen und die geschaffene Beziehung für unsere Argumentation.
Inwieweit besteht die Gefahr, dass durch Unstimmigkeiten im Rahmen einer Verhandlung dennoch auch eine bisher nachhaltige und vertrauensvolle Beziehung beschädigt wird?
Das ist vergleichbar mit einer guten Beziehung zwischen Eltern und Kind: Eine sehr gute Beziehung erlaubt auch mal das Austragen von Differenzen. Die Beziehung stellt die Brücke zwischen Eltern und Kind dar. Je stabiler und belastbarer eine solche Brücke ist, desto besser lassen sich gewisse Dinge auch mal im Streit und Uneinigkeit ausfechten. Wichtig ist hier, dass immer zwischen den Personen und der Sache unterschieden, die Beziehung nicht torpediert wird. Und je besser eine Beziehung zueinander ist, desto transparenter und offener wagen es die Verhandlungsparteien, miteinander zu sprechen. So ist die Grundlage für die Schaffung einer optimalen Lösung gegeben, von der alle Verhandlungspartner gleichermaßen profitieren. Das endet dann natürlich, wenn der eine versucht, den anderen über den Tisch zu ziehen.
Was gehört zu einer guten Vorbereitung auf ein Lieferantengespräch?
Da empfehle ich immer einen Dreisprung: die Definition der Ausgangsposition, der Ziele und der Strategie und Taktiken. Zu ersterem gehören Zahlen, Daten und Fakten, die ein Einkäufer immer parat haben muss. Dazu ist es unerlässlich, die Historie genau zu kennen. Was ich damit meine? Im Vorfeld einer Verhandlung haben wir zum Beispiel einmal einen 20 Jahre alten Vertrag gefunden, dessen Unterzeichner bereits nicht mehr lebten und von dem keiner mehr Kenntnis hatte. Aber die Inhalte des Vertrags haben nach wie vor gegolten. Darin war etwa beschrieben, dass so lange der alte Preis gilt, bis eine neue Vereinbarung getroffen wird – ein Joker in Zeiten stark gestiegener Preise.
„Derjenige, der eine echte gelebte wertschätzende Partnerschaft lebt, hat auch noch in schwierigen Zeiten die Chance beliefert zu werden.“
Ein möglichst detailliertes Profiling ist ebenfalls unverzichtbar, also immer zu schauen, mit welcher Person, welcher Persönlichkeit man es auf der anderen Seite zu tun hat: Hat man am Verhandlungstisch jemanden sitzen, der sehr dominant auftritt, auf Statussymbole Wert legt, oder jemanden, der eher beziehungsorientiert agiert? Hilfreich ist hier eine Recherche auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen, etwa bei YouTube oder LinkedIn. So versucht man, sich ein möglichst genaues Bild von der Person zu machen. Und anschließend lässt sich das noch mit Persönlichkeitsmodellen verknüpfen. Da weiß der Einkäufer dann, wie er mit dem Verhandlungspartner umgehen, welche Bedingungen er am Verhandlungsort schaffen muss, damit er eine möglichst gute Beziehung zum Verhandlungspartner ohne große Umwege aufbauen kann. Am Ende des Tages geht es nämlich immer um Menschen, die entweder „Ja“ oder „Nein“ sagen. Und diese müssen wir für uns gewinnen.
Wenn das alles geklärt ist, geht es um die Definition der Ziele, also das Minimal- und das Maximalziel – beide müssen messbar und realistisch sein. Und es braucht immer einen Plan B, falls das Minimalziel nicht erreicht werden kann. Dann folgen Strategie und Taktik. Die vier Grundstrategien in der Verhandlungsführung sind Druck, Partnerschaft, Ausweichen und Nachgeben. Innerhalb dieser Strategien gibt es wiederum verschiedene Taktiken. Im Idealfall entsteht so eine Art Drehbuch, aus dem klar hervorgeht, wer was wann wie macht.
Welche typischen Fallstricke lauern während der Verhandlungsführung?
Dass während der Verhandlung plötzlich Dinge auf den Tisch kommen, von denen der Einkäufer keine Kenntnis hatte. Das ist etwa eine stillstehende Produktion beim Lieferanten, über die er nicht rechtzeitig informiert wurde. So etwas erschüttert jegliche Ausgangsposition. Ein weiterer Fallstrick ist, wenn mein Gegenüber emotional kippt, er nicht mehr sachlich mit Argumenten arbeitet, sondern mehr oder weniger emotional ausflippt. Häufig ist es auch so, dass man im Vorfeld bei Dingen, die man nicht vorhersehen kann, mit Annahmen arbeitet. Diese müssen während der Verhandlung verifiziert werden. Wer dann feststellt, dass viele dieser Annahmen schlichtweg falsch waren, kommt ins Improvisieren. Improvisieren heißt immer, dass du plötzlich mit drei Bällen ohne Vorbereitung frei jonglieren musst – nicht gut fürs Verhandeln. Diese drei Punkte lassen sich aber weitgehend verhindern, wenn man sich ausreichend Zeit für die Vorbereitung genommen hat. Die Realität zeigt allerdings, dass das viele Einkäufer aus Zeitgründen einfach nicht tun. Wenn dann auch noch der Familienunternehmer-Boss unvorbereitet in der einen oder anderen komplexen Verhandlung plötzlich mit am Tisch sitzt, ist das der Verhandlung auch nicht zuträglich. Denn was nützt es, wenn jemand von der Partie ist, der zwar viel Entscheidungsmacht hat, aber wenig Wissen über den genauen Sachverhalt?
„Emotionen lassen sich auch strategisch einsetzen.“
Welche Rolle spielen Emotionen bei Verhandlungen mit Lieferanten?
Positive Emotionen wie ein freundliches Lächeln sind in aller Regel etwas sehr Belebendes für eine Verhandlung. Sie ermöglichen es erst, eine Beziehung zu jemandem aufzubauen. Das heißt: Positive Emotionen natürlicher Art braucht es auf jeden Fall. Aber es gibt eben Verhandlungen, wo man auch mal auf den Tisch hauen und im Ton garstig werden muss. Diese Emotionen sollten auf der Meta-Ebene ganz bewusst eingesetzt werden. Ein Beispiel: Mein Unternehmen hat einmal eine Verhandlung eines Kunden mit einem italienischen Monolisten begleitet und das Team darauf vorbereitet. Die Verhandlung war auf drei Stunden angesetzt, am Schluss waren es sieben Stunden. Nach sechs Stunden gab es eine Pause, in der eine jüngere Dame aus dem Verhandlungsteam im tiefsten Bayerisch mit verzweifeltem Gesichtsausdruck sagte: „Also eins sage ich euch: Ohne Ergebnis gehe ich nicht nach Hause!“ Genau diesen emotionalen Ausbruch hat sie auf meine Empfehlung hin gegenüber uns in der fortgeführten Verhandlung noch einmal wiederholt – auch auf Bayerisch, obwohl die Verhandlungssprache Englisch war. Der italienische Verhandlungsführer verstand natürlich kein Wort, doch er verstand anhand ihrer Mimik, dass sie höchst verzweifelt ist. Das löste bei ihm väterliche Gefühle aus – am Vorabend beim Dinner hatte er Bilder seiner Tochter gezeigt. Die Folge: Die Verhandlung wurde von ihm kurz unterbrochen und im Anschluss hatten wir unser Maximalziel erreicht. Emotionen können in solchen Fällen gut sein, da sie sich auch strategisch einsetzen lassen.
Welche Tipps haben Sie darüber hinaus für Unternehmen, damit sie sich in einer Lieferanten-Verhandlung generell einen strategischen Vorteil verschaffen können beziehungsweise die Chancen erhöhen, ihre Ziele zu erreichen?
Ich kann nur jedem Einkäufer nochmals mit Nachdruck empfehlen, sich so gut wie möglich vorzubereiten. Wenn wir zu unseren Kunden kommen, um sie bei den Verhandlungen zu coachen, glauben viele, dass mit uns der ICE kommt und alles viel schneller geht. Das Gegenteil ist der Fall: Wir sind der Bummelzug. Wir schauen auf Mikrodetails – vor allem bei den schwierigen Verhandlungen. Den eben beschriebenen 20-Jahre-Vertrag hätten wir anders auch nicht gefunden. Mit dem ICE unterwegs, huscht alles nur an einem vorbei, im Bummelzug siehst du auch Details der Landschaft. Ebenso wichtig ist es, einen schönen oder passenden Rahmen für die Verhandlung zu schaffen. Die Atmosphäre, das Ambiente müssen passen. Dazu gehört etwa ein frisch aufgebrühter Cappuccino und nicht ein lauwarmer Kaffee, der bereits sieben Stunden vorher in der Kanne gelandet ist. Und nicht zu vergessen: regelmäßig Pausen machen. In diesen Auszeiten kann man mit seinem Verhandlungsteam über das bisher Erreichte sprechen, den Kopf wieder frei bekommen, neue Energie tanken und sich wieder besser auf das Ziel fokussieren. Letzteres macht häufig den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg aus.
Damit beim Verhandeln kein konfrontatives Gegeneinander entsteht, sollten sich Einkäufer im Vorfeld nicht nur eine Liste mit Dingen zusammenstellen, die sie dem Lieferanten um die Ohren hauen können, sondern sich auch Punkte überlegen, die dem Gegenüber guttun. So entsteht ein konstruktives Miteinander. Und last but not least: immer positiv gestimmt in die Verhandlung gehen – Spaß und Freude an der Sache haben.