Blickpunkt
Die News März 2023

Rechthaberei fehl am Platz

Was sich von Verhandlungen mit Geiselnehmern lernen lässt

Matthias Schranner war über viele Jahre Verhandlungsführer der Polizei für Geiselnahmen. Im Interview verrät der heutige Vorstandsvorsitzende der Schranner Negotiation Institute AG, was Entscheidungsträger aus der Wirtschaft von Verhandlungen in solchen Extremsituationen lernen können.

Hendrik Fuchs
Lesezeit: ca. 5 Minuten
YAKOBCHUK VIACHESLAV / shutterstock.com

Sie wurden beim FBI und der Polizei für sehr schwierige Verhandlungen mit Geiselnehmern ausgebildet. Was war damals Ihre erste Erkenntnis?

Die wichtigste Erkenntnis für mich war es, sich nicht in die Welt der Geiselnehmer hineinziehen zu lassen und immer bei sich zu bleiben. Dazu gehört, auf Provokationen immer sehr ruhig zu reagieren und seine Strategie niemals aus den Augen zu verlieren. Wer sich hingegen auf die Spielchen des Gegenübers einlässt, hat gleich verloren. Zudem muss einem bewusst sein, dass bereits die Formulierung der Forderung eines Geiselnehmers den Beginn der Verhandlung darstellt.

Was war Ihr heikelster Fall?

Als uns vor vielen Jahren eine Frau anrief und uns erzählte, dass sich ihr Nachbar gerade vor ihren Augen erschossen hat. Daraufhin sind wir sofort zu dem Haus gefahren und haben uns plötzlich mitten in einer Geiselnahme befunden. Das war sehr schwierig zu handhaben, da wir von einem ganzen anderen Tatbestand ausgegangen sind.

Was zeichnet Verhandlungen mit Geiselnehmern aus?

Bei Verhandlungen mit Geiselnehmern hat man immer mit hochemotionalen Menschen in einer extremen Stresssituation zu tun. Im Gegensatz zur Situation bei Erpressungsversuchen weiß man stets, wo sich diese Leute aufhalten. Ich war also immer vor Ort und habe mit den Geiselnehmern von Angesicht zu Angesicht eine Lösung gesucht. Solche Verhandlungen sind strategisch gesehen recht einfach, denn ich habe es in der Regel nur mit einem einzigen Verhandlungspartner zu tun, der eine nicht erfüllbare Forderung stellt und der mit unmittelbarer Gewalt droht.

Matthias Schranner wurde von Wirtschaftsmagazin Forbes als seiner der weltweit besten Verhandlungsexperten bezeichnet. Seit rund 15 Jahren unterstützt er mit seinem Team des Schranner Negotiation Instituts unter anderem die UNO, Weltkonzerne und politische Parteien bei schwierigen Verhandlungen. Martin Ruetschi / SWITZERLAND

Wie bereitet man sich auf Verhandlungen mit Geiselnehmern vor?

Im Vergleich zu Businessverhandlungen sind die Ziele bei einer Geiselnahme klar gesetzlich vorgegeben: Das Leben der Geiseln muss unter allen Umständen geschützt werden. Und der Einsatz von unmittelbarer Gewalt ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Als Verhandlungsführer ist man also sehr stark in diesem juristischen Korsett gefangen. Daher braucht es keine große Vorbereitung, da sowieso klar ist, was zu tun ist.

Natürlich macht es aber einen Unterschied, wer die Verhandlungen führt. Bei der Polizei sagt man, dass im Falle einer Geiselnahme erfahrene Beamte normal zu ihrem Einsatzfahrzeug laufen und ruhig zum Tatort fahren, während junge Kolleginnen und Kollegen zum Auto rennen und losrasen. Am Tatort angekommen, können die Erfahrenen gleich in die Verhandlung einsteigen, die Unerfahrenen sind hingegen erst einmal selbst gestresst. Die beste Vorbereitung ist also, selbst Ruhe zu bewahren.

Wie baut man eine erste Verbindung beziehungsweise Beziehung zu den Kriminellen auf?

Geiselnehmer agieren in einem ganz anderen Wertekontext. Dessen muss man sich stets bewusst sein. Deshalb kommt man mit Aussagen wie „Jetzt geben Sie schon auf!“ oder „Kommen Sie raus!“ nicht weiter. Es gilt, dieses Rechthaberische, einen Befehlston zu vermeiden. Stattdessen sage ich: „Sie sind jetzt der Chef dieser Verhandlung und machen das, was Sie für richtig halten! Doch bevor Sie was machen, reden wir miteinander.“ So nimmt man erst einmal den Druck raus. Durch diese ruhige und bedachte Kommunikation auf Augenhöhe baut sich eine erste Beziehung auf. Infolgedessen wird der Geiselnehmer dann auch selbst ruhiger; die Verhandlung lässt sich relativ „normal“ weiterführen. Wichtig in diesem Kontext ist, dass man als Verhandlungsführer dem Gegenüber das Gefühl gibt, dass in diesem Moment zwei Personen in der Verantwortung stehen, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Welche Fehler sollten im Laufe einer solchen Verhandlung tunlichst vermieden werden?

Neben dem Rechthaberischen ist da etwa eine zu frühe Festlegung zu nennen – also das schnelle „Ja“ oder „Nein“. Beispielsweise: „Ja, das bekommen wir hin“ oder „Nein, das geht so nicht“.

Was ist zu tun, wenn man merkt, dass man seine Ziele nicht erreichen kann beziehungsweise vorerst nicht weiterkommt?

Wenn man merkt, dass man bei den Verhandlungen feststeckt, war man in der Regel zu ungeduldig und zu schnell, muss wieder einen Schritt zurückgehen. Egal, was passiert, man muss immer positiv bleiben und das seinem Gegenüber auch signalisieren.

„Wenn absehbar ist, dass Verhandlungen sehr schwierig werden, sollten Chefs nicht mit am Tisch sitzen.“

Welche Erkenntnisse lassen sich aus solchen Verhandlungen für Unternehmerinnen, Unternehmer und andere Führungskräfte – im Kontext Verhandlungen – ableiten?

Verhandlungen mit Geiselnehmer stellen zwar eine Extremsituation dar, dennoch lässt sich daraus eine Menge auch für Businessverhandlungen ableiten. So sollte man sich auch bei Verhandlungen im unternehmerischen Alltag genauso wenig provozieren, sich nicht in eine unüberlegte Reaktion bringen lassen. Als Erstes muss man sich genau überlegen, was man mit der Verhandlung erreichen möchte. Zweitens ist auch hier ein schnelles „Ja“ oder „Nein“ zu vermeiden, weil eine zu schnelle Festlegung am Schluss zu einem Gesichtsverlust führt. Das dritte, was es zu vermeiden gilt, ist Rechthaberei, ein Überzeugenwollen auf Teufel komm raus – nach dem Motto „Aber Sie müssen das doch verstehen“ oder „Aber wir haben doch einen Vertrag“. Diese drei Aspekte – egal, ob bei der Geiselnahme, im gewerblichen oder privaten Gespräch – sind immer gleich wichtig.

Auch Emotionen sollten zurückhalten werden?

Unbedingt. Das ist ein Fehler, der vor allem vielen Inhabern von Familienunternehmen unterläuft. Sie werden in Verhandlungen häufig sehr emotional, weil sie sich mit ihrem Unternehmen stark verbunden fühlen. Wird in der Verhandlung nur ein Hauch an Kritik an der Firma laut, wird das schnell als respektlos und persönlicher Angriff empfunden, was einem positiven Fortgang der Verhandlung nicht dienlich ist. Daher stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass Entscheidungsträger mit am Verhandlungstisch sitzen.

Grundsätzlich ist es so: Wenn viel auf dem Spiel steht, etwa die Existenz des Unternehmens, ist die Gefahr sehr groß, dass eine Verhandlung sehr emotional wird. Das heißt: Je schwieriger die Verhandlung, desto weniger sollten Entscheidungsträger mit dabei sein. Und genau das machen die meisten falsch: Bei einfachen Verhandlungen bleiben sie weg, wird es kompliziert, wollen sie unbedingt mit von der Partie sein.

Aber ist es nicht besser, dass derjenige, der die Verhandlungen führt, auch wichtige Entscheidungen treffen darf?

Nein, das Ziel und die Bedingungen müssen vor der Verhandlung von den Chefinnen oder Chefs festgelegt werden. Dieses Verhandlungsmandat übergeben sie dann an das Verhandlungsteam. Was sie nicht machen dürfen, ist, während der Verhandlung das Ruder zu übernehmen oder das Ziel neu zu definieren. Leider passiert das in der Praxis dennoch sehr häufig.

Was kann das für Folgen haben?

Nehmen wir mal den Fall an, dass ein Familienunternehmen verkauft werden soll. Der Inhaber möchte sein Lebenswerk für acht Millionen Euro verkaufen. Die Gegenseite bietet aber nur 7,5 Millionen Euro an. Was macht der Unternehmer? Normalerweise willigt er ein. Sitzt aber ein Verhandlungsteam mit der klaren Acht-Millionen-Euro-Vorgabe am Verhandlungstisch, würde es genau bei dieser Summe aussteigen. Das heißt, im ersten Fall würde man Zugeständnisse machen, im zweiten nicht – würde bei einer neuen Verhandlung eventuell mehr herausholen.

Welchen abschließenden Tipp haben Sie für Unternehmer?

Verhandeln ist ein Handwerk und lässt sich gut erlernen. Deshalb sollten Unternehmerinnen und Unternehmer frühzeitig damit beginnen, ein professionell arbeitendes Verhandlungsteam aufzubauen. Und eines ist sicher: Irgendwann steht jedes Unternehmen vor schwierigen und komplexen Verhandlungen – gut, wer dann ein erfahrendes und eingespieltes Team an seiner Seite weiß.

www.schranner.com

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