Resilienz als kindliche Basiskompetenz
Spricht man mit Mitgliedern aus Unternehmerfamilien über ihre Kindheit und Jugend, so spielt das Familienunternehmen eine große Rolle. Es wird von positiven wie auch negativen Erfahrungen berichtet. Aber wie wirken sich diese auf die psychische Entwicklung der Nachkommen aus?

Ein Familienunternehmen beeinflusst das kindliche Aufwachsen auf unterschiedliche Art und Weise. Sowohl die innerfamiliäre Erziehung als auch die dort stattfindende Sozialisation werden auf das Familienunternehmen bewusst und unbewusst abgestimmt. Eine Tatsache, die Kinder und Jugendliche aus eben solchen Familiensystemen für ihren gesamten Lebensverlauf prägt und ihre weitere Entwicklung maßgeblich bestimmt. Aus diesem Grund ist eine Bewusstseinsschaffung sowohl über die Einflüsse als auch über ihre Auswirkungen von besonderer Wichtigkeit.
Mangel an einschlägiger Forschung
Resilienz ist ein Begriff, der in den unterschiedlichen Fachrichtungen mit voneinander abweichenden Definitionen immer mehr an Bedeutung gewinnt und in der Gesellschaft immer populärer wird. Was bedeutet Resilienz nun tatsächlich und woher kommt dieser Begriff? Resilienz hat seinen Ursprung in der Psychologie und in den Sozialwissenschaften und ist hier schon seit Jahrzehnten nicht mehr wegzudenken. Sowohl in Theorie und Forschung als auch in der praktischen Arbeit im direkten Kontakt mit Klienten wird immer wieder auf das Resilienzkonzept erfolgreich zurückgegriffen. In der Ursprungsdefinition wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche, die in prekären Verhältnissen aufwachsen, auf Ressourcen zurückgreifen können, durch welche sie sich trotz hoher Belastungen psychisch gesund entwickeln. Diese Ressourcen können sowohl individuell personell sein als auch aus dem sozialen Umfeld stammen. Dieser Grundgedanke hat sich in der Sozialwissenschaft und auch in der praktischen Sozialen Arbeit in den unterschiedlichen Familiensystemen etabliert und weiterentwickelt.
Welche Bedeutung hat dieses Konzept nun für Unternehmerfamilien? Wie in jeder Familie liegen auch in diesem Familiensystem systemspezifische Entwicklungsrisiken vor. Inwiefern diese die kindliche Resilienz beeinflussen und welche systemspezifische Schutzfaktoren dem gegenüberstehen, wird in der Literatur bisher nur wenig erläutert. Dieser Mangel einschlägiger Forschung und Literatur steht einem hohen Bedarf an Aufklärung und Handlungsstrategien gegenüber. Mitglieder aus Unternehmerfamilien sind Herausforderungen gegenübergestellt, denen sie möglichst gestärkt gegenübertreten müssen. Gleichzeitig haben sie aufgrund des Familienunternehmens und den damit einhergehenden Familienstrukturen besondere Ressourcen, zu denen sie einen optimalen Zugriff haben sollten. Nur so kann eine entsprechende Resilienzentwicklung im Kindes- und Jugendalter stattfinden, die sie für die Aufgaben und Herausforderungen eines Familienunternehmens stark macht.
Vom Aufwachsen in einer Unternehmerfamilie
„Aber die Firma schwebt halt immer so über allem, das war das Wichtigste.“ Diese und ähnliche Aussagen treffen Mitglieder in Unternehmerfamilien, wenn man mit ihnen aktiv über das Aufwachsen in einer Unternehmerfamilie spricht. Das Familienunternehmen nimmt also eine Schlüsselrolle in Kindheit und Jugend ein, die auch aus einer retrospektiven Sicht von besonderer Bedeutung ist. Die in diesem Familiensystem vorherrschende Sozialisation ist durch besondere Sozialisationsbedingungen und -einflüsse geprägt. Innerhalb der unmittelbaren Peergroup in Schule und Kindergarten, aber auch im Austausch mit weiteren Sozialkontakten, wirkt das Familienunternehmen auf die soziale Interaktion ein: Besitz, Vermögen, der Familienname oder aber die väterliche Rolle des Arbeitgebers innerhalb einer Kleinstadt werden vom direkten Umfeld wahrgenommen und bewertet. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass das Familienunternehmen nicht nur die Primärfamilie und die dort stattfindenden Erziehung beeinflusst, sondern auch eine Vielzahl an weiteren Lebensräumen, in denen die physische, psychische sowie soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen stattfindet. Welche Bedeutung die Sozialisation im Schatten eines Familienunternehmens haben kann, wird in der Autobiografie „Desaster“ von Sigrid Rausing (2018) deutlich. In dieser erläutert die Autorin, wie sehr ihr Bruder unter der Last des Familienunternehmens (Tetra Pak) gelitten hat und welches Ausmaß dies für seinen weiteren Lebensweg hatte. Sie hebt parallel hervor, wie sie und ihre Schwester mit vermeintlich gleicher Erziehung und Sozialisation individuelle Ressourcen nutzen konnten, um ein psychisch gesundes Leben führen zu können. Hinter diesem berühmten Beispiel steht die Frage, warum sich die einen unter scheinbar gleiche Bedingungen psychisch gesund entwickeln, aber die anderen erkranken – eine Frage, die durch das Resilienzkonzept beantwortet werden kann.
Wissen und Kommunikation sind die Schlüssel
Für Unternehmerfamilien ist es von besonderer Bedeutung, dass sie über das Resilienzkonzept tiefgreifend informiert sind und sowohl die Risiken als auch die dahinterliegenden Chancen kennen, die sich aus dem Dasein einer Unternehmerfamilie ergeben. Die Forschung präsentiert hierfür erste Ergebnisse (vgl. Heil 2023; Heil 2022), aus denen sich wiederum Denkanstöße für die angesprochenen Familien entwickeln. Wichtig ist ein professioneller Umgang mit der kindlichen Resilienzentwicklung. Um die Sozialisationsbedingungen in einer Unternehmerfamilie bestmöglich als Ressource für die Nachkommen nutzen zu können, muss eine proaktive Kommunikation über mögliche, systemspezifische Risiko- und Schutzfaktoren in der gesamten Unternehmerfamilie möglich sein. Dies gelingt nur mit einer vorherigen Aufklärung und einer generationsübergreifenden Wissensvermittlung. Eine externe psychoedukative Beratung kann dabei unterstützen, die Thematik greifbarer zu machen und eine Strategie zu entwickeln, möglichst viele Schutzfaktoren optimal zu nutzen und die bestehenden Risikofaktoren zu minimieren. Nicht jede Unternehmerfamilie ist gleich. Aus diesem Grund muss sich jedes Familiensystem bewusst machen, wie es sich definiert, welche internen wie externen Einflüsse auf seine Familie wirken und welche individuellen Risiko- wie Schutzfaktoren sich daraus ergeben. Ein präventiver Umgang mit der gesamten Thematik und eine professionelle Begleitung dieses gesamten Prozesses sind der Schlüssel für einen erfolgreichen Umgang mit den systemspezifischen Sozialisationsbedingungen und einer bestmöglichen Förderung der individuellen kindlichen Resilienzentwicklung.
Literatur
Heil C. 2023. Kindliche Resilienz in Unternehmerfamilien – eine empirische und sozialisationstheoretische Verortung. WIFU-Schriftenreihe. Göttingen: V&R (im Erscheinen).
Heil C. 2022. Familiensache Resilienz. Wie Unternehmerfamilien Schutzfaktoren für ihre Kinder identifizieren und entwickeln können. WIFU-Praxisleitfaden. Witten: WIFU.
Rausing S. 2018. Desaster. Frankfurt a.M.: S. Fischer.