Blickpunkt
Die News März 2023

Richtig digital verhandeln

Ohne Grundlagen kein Erfolg

Entgegen der Auffassung, dass digitales Verhandeln schwierig ist, möchte ich in diesem Beitrag mit diesem Vorurteil aufräumen. Digitales Verhandeln hat eine ganze Reihe von Vorteilen, aber es setzt auch voraus, dass man die "normalen" Spielregeln des Verhandelns versteht und einige Variationen berücksichtigt. Wir schauen daher kurz auf die wichtigsten Grundlagen, erläutern die Vorteile des digitalen Verhandelns und gehen dann auf die Besonderheiten ein.

Hubertus Porschen
Lesezeit: ca. 5 Minuten
fizkes / Shutterstock.com

Lassen Sie uns zuerst auf die Grundlagen des „normalen“ Verhandelns eingehen. Das Verhandeln ist eine dem Verkauf nachgelagerte Phase. Wenn der Verkaufsprozess Aufschluss über das „OB“ gibt, beschreibt der Verhandlungsprozess das „WIE“. Beide Phasen beinhalten vollkommen andere taktische Elemente: Im Verkauf wecke ich einen Bedarf und muss mein Gegenüber vom Produkt oder der Dienstleistung überzeugen. Das mache ich mit Argumenten. In der Verhandlung geht es darum, für die unterschiedlichen Interessen eine Lösung zu finden. Das funktioniert in den seltensten Fällen über Argumente, sondern über das Stellen von Forderungen. Erstellen Sie einen Forderungskatalog mit mindestens 30 Forderungen. Unterteilen Sie diesen in unterschiedliche Prioritäten: Must have, Should have und Nice to have.

Die Teamaufstellung

Wer richtig verhandelt, verhandelt meiner Ansicht nach am besten nach dem FBI-Team-Modell. Es gibt einen Decision Maker – im Mittelstand häufig der Unternehmer –, der nicht verhandelt und nicht präsent ist, sondern Entscheidungen trifft. Zum Team gehört ein Commander, der in der Verhandlung zuhört, steuert, mitschreibt. Der Negotiator hat keine Beziehung zur Gegenseite (nicht der Key-Account, kein Vertrieb!) und stellt die Forderungen. Wichtig sind Beharrlichkeit, eine gute Abstimmung und eine klare Funktionsbeschreibung.

Dr. Hubertus Porschen ist Unternehmer, Berater und Coach für digitale Marketing und Vertriebsstrategien sowie Verhandlungsführung. www.andreasemmert.com

Die Taktiken

Nutzen Sie Anker, hören Sie aktiv zu, sammeln Sie Informationen, fragen Sie, stellen Sie Forderungen auf und sagen Sie klar, was Sie haben möchten. Bereiten Sie sich gut vor und versuchen Sie, die Taktik/Strategie vor die Inhalte zu stellen. Das Allerwichtigste: Führen Sie den Prozess. Seien Sie dabei freundlich und respektvoll, aber beharrlich. Gute Einkäufer wiederholen ihre wichtigsten Forderungen mehrfach. Wenn Sie diese Prinzipien berücksichtigen, können Sie diese fast eins zu eins aufs digitale Verhandeln anwenden. Was einige Vorteile bietet.

Vorteile des digitalen Verhandelns

Fokus: Der große Vorteil des digitalen Verhandelns ist, dass Sie sich voll und ganz auf Ihr Gegenüber fokussieren können. Keine Ablenkung, nur ein Bildschirm. Sie können Reaktionen beobachten, unterbrechen, pausieren.

Geschwindigkeit: Schnell zu starten, zur Sache kommen ohne langes Blubb und zu viel Small Talk sind Vorteile, die Sie nutzen sollten. Das lässt mehr Zeit zur Vorbereitung.

Stiller Beobachter: Vereinbaren Sie mit der Gegenseite, dass stille Zuschauer/Zuhörer erlaubt sind. Diese sehen und hören Dinge, die Sie nicht hören. Das kann ein Vorteil sein.

Taktung/Frequenz: Neben der Geschwindigkeit, erlaubt digitales Verhandeln auch eine höhere Taktung. Neue Informationen führen zu einer neuen Ausgangssituation. Übernehmen Sie hier die Führung und bestimmen, wann, wie oft, wo und in welcher Form Sie digital verhandeln.

Sicherlich gibt es neben diesen exemplarischen Vorteilen auch eine Reihe von Nachteilen, zum Beispiel, dass die persönliche Beziehung immer weniger relevant wird. Hierzu empfehle ich aber, explizit Termine zum Beziehungsaufbau und zur -pflege einzustellen.

Die 8 wichtigsten Prinzipien des digitalen Verhandelns

  1. Aus einer Offline-Verhandlung werden fünf digitale. Wir verhandeln per Telefon, Chat, E-Mail, Zoom usw. Die Führung des Prozesses wird immer wichtiger. Wer den Prozess führt, gewinnt. Das bedeutet auch, dass Quantität nicht immer Qualität ersetzt. Setzen Sie lieber weniger Meetings an und nehmen sich stattdessen die Zeit zur Vorbereitung.
  2. Der Top-Unternehmer/Einkäufer/Vertriebler vor billiger Laptop-Kamera und scheußlichem Hintergrund ist ein No-Go! Ein gutes technisches Equipment wie Kamera, Licht, Mikrofon, Hintergrund (Regal, Lampe) und Software signalisieren nicht nur Respekt vor der Gegenseite, sondern sind auch Ausprägung einer eigenen Haltung.
  3. Fragetechniken gewinnen an Bedeutung. Stellen Sie Fragen, denn wer fragt, der führt. Optionsfragen sind besonders geeignet, da sie der Gegenseite das Gefühl geben, zu entscheiden. Bereiten Sie daher mindestens zehn Optionsfragen vor. Ein Beispiel: „Würden Sie eine sofortige Preiserhöhung um zwölf Prozent präferieren oder eine Erhöhung in drei Monaten in Höhe von 16 Prozent?“ Vermeiden Sie offene Fragen. Die Gefahr, dass die Gegenseite zu sehr in den Prozess geht, besteht unbestritten.
  4. Team-Set-up: Wie kommunizieren wir im Team, wie kommunizieren wir mit der Gegenseite? Wie offiziell, wie inoffiziell? Sie bestimmen den Kanal und damit den Prozess! Ich empfehle, den Kanal für die digitale Verhandlung zu bestimmen (etwa Zoom) und gleichzeitig auch festzulegen, wie ihr Team intern kommuniziert (zum Beispiel über Slack). Wichtig: Benutzen Sie nie den gleichen Kanal. Ein dritter Kanal – zur inoffiziellen Kommunikation mit der Gegenseite – kann auch bei Bedarf bestimmt werden (häufig Telefon oder LinkedIn).
  5. Die richtige Vorbereitung: Wir definieren im Team unsere Ziele und Forderungen (gerne zu Beginn im Konjunktiv), wir stellen die Agenda (immer mit Zeitrahmen und Verantwortlichkeiten), wir fassen ständig zusammen, um ein gleiches Verständnis zu haben und … natürlich, um den Prozess zu führen. Wie gestalten Sie das Opening? Wer sagt was? Beginnen Sie mit dem für Sie wichtigsten Thema? Wie ankern Sie?
  6. Wir antizipieren unseren Intellekt nicht auf Andere. Daher benutzen Sie einfache Botschaften, wiederholen sie und versuchen so, Ihre wichtigsten Punkte immer wieder durchzusetzen. Die einfach formulierten, wirklich relevanten Forderungen werden immer wieder formuliert. Bedenken Sie bitte, dass wir alle nicht nur ein unterschiedliches Verständnis von Dingen haben, sondern auch unterschiedliche Persönlichkeiten.
  7. Seien Sie sich Ihrer Macht bewusst! Macht ist auch im Digitalen fast immer subjektiv: Sie wird bestimmt durch Anzahl und Höhe der Forderungen und die Art und Weise der Vorbereitung Eigentlich ganz simpel, oder? Und das führt dann schon zum letzten und vielleicht wichtigsten Punkt:
  8. Wie ist Ihre Haltung? Grundsätzlich positiv und auf play-to-win ausgelegt? Das sollte Sie. Dafür bereiten Sie sich vor, dafür erstellen Sie Ihren Matchplan. Das ist, wofür Sie brennen: die Vertretung Ihrer Interessen. Und nicht die der Gegenseite. Am Ende sollte Verhandeln – gerade auch im Digitalen – Spaß machen. Und das geht nur mit einer positiven Haltung.

Zusammenfassend kann man sagen: Verhandeln, und gerade das digitale Verhandeln, muss gelernt (theoretisch) und angewendet werden. Intuition („Ich mache das seit 30 Jahren.“) ist fehl am Platz. Es geht darum, strategisch und taktisch vorzugehen, sich richtig vorzubereiten und beharrlich die eigenen Interessen durchzusetzen – zuerst die eigenen Interessen, dann die der Gegenseite. Wer sein Ego vorher an der Garderobe abgibt und einen guten Prozess definiert hat, der kann auch in digitalen Verhandlungen viel herausholen.

www.hubertusporschen.com

Dieser Artikel ist erschienen in