Verändern oder verabschieden?
Das Bild der Wirtschaft wird von neuen, starken Kräften geprägt: Digitalisierung, Technologien, demografischer Wandel, Nachhaltigkeit und ein verändertes Kundenverhalten. Das alles reißt gewachsene Marktstrukturen ein. Daher wird es nur noch zwei Arten von Unternehmen geben: jene, die sich verändern, und jene, die sich verabschieden.

Es kann wohl kaum einen Zweifel daran geben, dass Märkte und Unternehmen völlig anderen Regeln unterworfen sind, als dies in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Speziell die digitale Revolution hat die Begriffe von Raum, Zeit und Masse grundlegend neu bestimmt. Wer unternehmerisch tätig sein will, braucht nicht mehr zwingend einen festen Raum – es lässt sich auch sehr gut virtuell existieren. Doch nicht jeder ist Spotify oder ein Mr. Bezos. Auch wird hier kein Loblied auf Amazon angestimmt. Aber Fakt ist nun mal, dass Jeff Bezos als erster weltweit das Geschäftsmodell von Neckermann, Otto-Versand und Beate Uhse revolutioniert hat. Von dieser Strategie können Unternehmer, gleich welcher Branche, viel lernen und auf das eigene Unternehmen übertragen. Auffällig ist vor allem der Pragmatismus und die, für viele traditionellen Firmenchefs, provokante „Position der einfachen Fragen“, die Bezos für sich einnimmt. Sinnbildlich aufgezeigt in der Tatsache, dass es in wichtigen Meetings bei ihm anscheinend immer einen freien Stuhl gibt, auf dem der imaginäre Kunde Platz nimmt. Dessen mögliche Überlegungen, Fragen und Wünsche haben prägenden Einfluss auf alle weiteren Ideen, Prozesse, Produkte und die Kommunikation. Hinzu kommt, dass der Amazon-Weg von einem unablässigen Streben nach Innovation geprägt ist. Das Unternehmen hat das geschaffen und perfektioniert, was viele Firmen immer wieder versprechen, aber nur selten wirklich halten: das wahre Kundenbedürfnis zu erfüllen!
Gegenwart entschlüsseln, um Zukunft zu sehen
Bis dato verwenden Führungskräfte gerne „Marktanteil und Branchenattraktivität“ als Messgrößen, um das Angebotsportfolio eines Unternehmens zu beurteilen. Die landläufige Vorstellung ist, je attraktiver der Markt und je größer der Anteil des eigenen Unternehmens daran ist, desto gesünder ist man und desto weniger muss man den Kurs ändern. Zugegeben, Marktanteile sind wichtig, aber sie bilanzieren die Performance der Vergangenheit. Als bekanntes Beispiel dient Kodak, man war Marktführer im Bereich Fotofilme, als die Digitalfotografie auf den Plan trat. Ähnlich verhält es sich mit der Branchenattraktivität. Eine heute noch lockende Branche kann schon in Kürze „herausfordernd“ und dann möglicherweise auch unattraktiv sein, falls beispielsweise gesetzliche Rahmenbedingungen geändert werden. So gab es etwa für die Aufzugsbranche vor einigen Jahren neue technische Normen, die die Aufzugswelt weltweit veränderten.
Für künftige Markterfolge sollten Marktanteile und Branchenattraktivität durch „Nutzen“ und „Innovation“ ersetzt werden. Indem man beurteilt, wie viel innovativen Nutzen die angebotenen Produkte und Dienstleistungen dem Kunden bieten, lässt sich erkennen, wie strategisch verletzlich oder gesund das Unternehmensportfolio wirklich ist. Wo gibt es „Me-toos“, was sind die wahren Besonderheiten?
Geschäftsmodell regelmäßig überprüfen
Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit müssen sich Unternehmen grundsätzlich stetig mit ihrem Geschäftsmodell auseinandersetzen und bei Bedarf neu ausrichten. Denn Wachstum und Expansion entstehen durch die Vernetzung von Strategie, Prozessen und Vermarktung. Speziell der Vertrieb und damit auch das Marketing brauchen eine besondere Aufmerksamkeit. Denn bekanntlich lebt ein Unternehmen nicht von dem, was es produziert, sondern nur von dem, was es profitabel verkauft.
Das Verhalten der heutigen Zielgruppen ist allerdings durch den Paradigmenwechsel von Push- zu Pull-Marketing geprägt. Ausschlaggebend dafür: Die Währung der heutigen Zielgruppen ist in erster Linie nicht Geld, sondern Vertrauen, verfügbare Zeit und Relevanz. Ohne Berücksichtigung dieser drei Währungen und Pull-Marketing funktioniert Unternehmenskommunikation nicht mehr. Der Wandel von Push- zum Pull-Marketing geht mit der hohen Akzeptanz von Social Media einher, insbesondere von sozialen Netzwerken und Communitys. Ein Grund ist, dass benutzergenerierte und in sozialen Medien produzierte Inhalte die Basis für das heutige Vertrauen der Zielgruppen sind: Diverse Analysen zeigen auf, dass über 80 Prozent der Zielgruppen den Inhalten vertrauen, die von Gleichgesinnten (sogenannten „Peers“) erstellt wurden. Den klassischen Marketingmaßnahmen hingegen schenken die Zielgruppen weniger Vertrauen.
Auch im „Business-to-Business“ werden heute Erfahrungen geteilt – über Marken, Dienstleistungen und Produkte, gute und schlechte. Die Transparenz des Internets ist schlichtweg brutal. Deshalb können schlechte Dienstleistungen oder Produkte auch nicht mehr mit klassischem Marketing schöngeredet werden. Wenn der Service oder das Produkt nicht zum Markt passen, ist das übliche Push-Marketing nutzlos oder sogar schädlich. Für das Marketing bedeutet dies eine Verschiebung des Schwerpunkts – von bezahlten hin zu benutzergenerierten Inhalten, von unidirektionaler, nach außen gerichteter Kommunikation hin zu einem bidirektionalen Dialog mit den jeweiligen Zielgruppen.
Die Digitalisierung macht auch vor dem Vertrieb nicht halt. Für viele Unternehmen waren persönliche Treffen zwischen Verkäufern und Kunden ein entscheidendes Element des Verkaufsprozesses. Doch die durch COVID-19 ausgelöste soziale Distanzierung hat die Vertriebsführung dazu gezwungen, nun auch einen weiteren, virtuellen Verkaufsprozess zu entwickeln und mit Leben zu füllen. Dazu gehören beispielsweise interaktive Inhalte wie Empfehlungstools. Auch virtuelle Produktsimulationen können sehr effektiv sein, um Kunden aktiv in die Konversation einzubinden und einen wechselseitigen Informationsaustausch in einer virtuellen Umgebung zu fördern.
Wachstum jenseits des Wettbewerbs
Um die Strategie effizienter und adäquat für die Zukunft auszurichten, sollten Unternehmen unter anderem die folgenden Fragen beantworten, angelehnt an die Canvas-Methode und das Blue-Ocean-Modell:
- Was erwarten die Kunden und Interessenten von ihren Lieferanten? Welches sind die wichtigsten Probleme oder Bedürfnisse, die das Angebot Ihrer Branche aus Sicht des Käufers löst oder anspricht?
- Wie kaufen sie ein und wie ist der Procurement-Prozess organisiert? Wer ist Erwerber, Benutzer und „Beeinflusser“ in der Käufergruppe?
- Wie sollte der Verkaufsprozesse entlang der erwarteten Buyers Journey ausgerichtet sein?
- Wie steht es um die Zusammenhänge, wenn ein Angebot vorgelegt werden darf? Wurde identifiziert, was vor, während und nach der Angebotsphase geschieht?
- Welche alternativen Branchen lösen dieselben Probleme oder sprechen ähnliche Bedürfnisse der Kunden an? Was lässt sich daraus lernen?
Märkte verändern sich, der Wettbewerb nimmt zu, während die Ansprüche der Kunden steigen. Um hier mitzuhalten, sind Unternehmen dazu angehalten, ihre bisherigen Konzepte und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen. Neues rechtzeitig zu erkennen, Altes möglicherweise schnell loszulassen und zügig notwendige Veränderungen herbeizuführen,werden zu wettbewerbsentscheidenden Faktoren. Wer künftig erfolgreich sein will, muss seine Erfolgsquote in der Realisierung von Strategie- und Veränderungsprojekten steigern und dabei vor allem noch dichter an den Bedürfnissen der Kunden sein.