Blickpunkt
Die News März 2023

Vom Streiten über das Ringen zum Rechnen!?

Ein Führungsblick auf das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept ist eine von Roger Fisher und William Ury 1981 formulierte Methode für sachbezogenes Verhandeln. Sie basiert auf vier Prinzipien und hat zum Ziel, dass Parteien in einem Streitfall zu einer friedlichen und auch konstruktiven Einigung kommen, an deren Ende beide gewinnen. Richtig gelesen! Beide Parteien gewinnen. Dabei geht es also nicht nur um die Sache oder den Kern der Auseinandersetzung, sondern genauso darum, die zwischenmenschliche Beziehung zu wahren, statt sie zu riskieren oder gar zu zerstören.

Prof. Dr. Pamela Luckau
Lesezeit: ca. 4 Minuten
Pickadook / Shutterstock.com

Wir leben und arbeiten in kennzahlorientierten Zeiten, die von Veränderung geprägt sind und sowohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die verantwortlichen Führungskräfte auf jede nur denkbare Weise beschäftigt: Da gilt es, Trends zu erkennen, Entwicklungen zu deuten und weise Entscheidungen für den Fortbestand des Unternehmens abzuleiten und umzusetzen. Das Harvard-Konzept verheißt vor diesem Hintergrund, die beteiligten oder betroffenen Personen als Variable nicht nur zu berücksichtigen, sondern aktiv mitzudenken und ein Vorgehen anzuwenden, das den Fortbestand jeder Form von Beziehung zum expliziten Ziel erklärt.

Win-win-Situation im Fokus

Für viele dürfte dieser Angang von der Realität weit entfernt sein: Da ist nicht nur dieser eine Konflikt oder dieses eine Problem, sondern mehrere. Und die auch nicht zum ersten Mal, sondern als wiederkehrende Schleife. Da überlagern Animositäten persönlicher Couleur jeden Versuch der sachlichen Auseinandersetzung. Und da setzt sich der Vorschlag durch, der am Ende die geringste Abwehr erzeugt oder aus einer Ecke kommt, die als verlässlich gilt. Nicht das Optimum, aber es geht (irgendwie) weiter: aus Führungssicht eine Option zu verhandeln mit dem Fokus auf minimalen Invest und unter Inkaufnahme von zwischenmenschlichen Verwerfungen, die in dem einen Moment minimal anmuten, über Zeit aber handfeste Konsequenzen nach sich ziehen können. Das Harvard-Konzept mit dem Fokus auf die Win-win-Situation kehrt das Handeln der Führungskräfte im Streit- oder Konfliktfall um. So sehen die vier Schritte konkret aus:

Schritt 1: Trenne Person und Sache

Wenn neben dem eigentlichen sachlogischen Problem im Verlauf auch ein zwischenmenschlicher Konflikt zwischen den betroffenen Parteien entsteht, dann sind Sach- und Beziehungsebene ungünstig verstrickt. Das Harvard-Konzept appelliert an uns, statt der Gegnerschaft das Gemeinsame, das Einende zu erkennen: Verhandeln ist dann, wenn zwei Parteien an der Erreichung der bestmöglichen (win-win!) Einigung aktiv arbeiten. Das gelingt leichter, wenn man unmittelbar den möglichen Gewinn für beide Seiten mitdenkt, anstatt das eigene Ego nach vorne zu stellen.

Schritt 2: Fokussiere dich auf Interessen, nicht auf Positionen

Im Harvard-Konzept liegt Verhandlungen nicht ein Konflikt der Positionen, sondern der Interessen zugrunde. Eine Position im Streitfall basiert auf der vermuteten Verteilung von Ressourcen und ist damit beschränkt: Was geht hier, was geht nicht? Interessen aber sind grundsätzlicherer Natur und oftmals verdeckt. Die Fragen „Was ist Ihnen so wichtig an x?“ und „Wofür möchten Sie y unbedingt nutzen?“ steuern die Interessen der Beteiligten an, anstatt bei den vorgetragenen Positionen gleichsam stehenzubleiben. Auch hier: Wenn man detektivisch-neugierig nach einem Gewinn für alle sucht, ändert sich die Haltung auf den Konflikt an der Oberfläche fast schon automatisch.

Schritt 3: (Er-)Finde Optionen für beiderseitigen Gewinn

Es gibt nicht den einen richtigen Ausgang einer Verhandlung, auch wenn uns das eigene Ego oder die Erfahrung das Gegenteil rational begründet weismachen wollen. Sammeln und erfinden Sie zunächst Optionen, schicken Sie alle Kritiker – auch die eigenen inneren – einmal kurz aus dem Raum: Das Ausbreiten aller Ideen ohne den Druck der Machbarkeit rückt die vorher in Schritt 2 ermittelten Interessen ins Zentrum der Befassung und nicht mehr das auslösende Problem. Hier kann helfen, die Perspektiven zu wechseln und etwa als Führungskraft alle beteiligten Rollen geistig mehrfach einzunehmen, um ein höheres Maß an Verständnis für die jeweiligen Interessen zu entwickeln.

Schritt 4: Bestehe auf objektiven Kriterien

Hier kann das Problem dienlich sein: Welche Kriterien stehen da im Fokus, die benennbar sind und objektivierbare Größen enthalten? Können die beteiligen Parteien womöglich selbst aus der Analyse der Interessen Kriterien ableiten? Das Verhandeln in Schritt 4 besteht hier dann darin, die Begründungen erst anzuhören und dann gelten zu lassen beim Finden des beiderseitigen Gewinns.

Laterales Führungsverständnis zielführend

Wer genau liest, stellt fest, dass diesen vier Schritten ein eher laterales, also von der Seite kommendes, Führungsverständnis zugrunde liegt. Anstelle des Machtworts oder der vollständigen Delegation der Problemlösung an die Beteiligten steuert die Führungskraft hier eher einen Prozess, als dass sie inhaltlich lenkt. Das braucht Klarheit, kommunikatives Geschick und eine Haltung zu sich und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nicht jedem in die DNA eingeschrieben ist. Sie delegiert ein hohes Maß an Verantwortung weg von der eigenen Rolle und verleiht einer eher partnerschaftlichen Führungsrolle Ausdruck: Mit dem Harvard-Konzept wird gestritten, dann unter Anleitung gerungen und schließlich gerechnet, und zwar miteinander statt aneinander vorbei.

www.mobile-university.de

Lesetipp

Sie wollen mehr über das Harvard-Konzept wissen? Hier ist die erweiterte und neu übersetzte Auflage: Roger Fisher/William Ury/Bruce Patton: Das Harvard-Konzept. Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse. DVA. 2018

Zertifizierte Weiterbildung

An der SRH-Fernhochschule The Mobile University kann man sich in Kooperation mit der Spiegel-Akademie in sechs Monaten mit unserem Hochschulzertifikat zum Konflikt- und Verhandlungsmanager weiterbilden – vollständig virtuell, wann und wo man möchte. Man bringt seine Fälle aus der Praxis mit und qualifiziert sich auf Hochschulniveau.

dn.rpv.media/5oq

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