Wir statt ich
Vor gut anderthalb Jahren wurde die Initiative "Maschinenraum" ins Leben gerufen – eine Plattform für mittelständische Firmen und Familienunternehmen, um gemeinsam in unterschiedlichen Bereichen nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu schaffen. Die Redaktion sprach darüber mit Geschäftsführer Tobias Rappers.

Familienunternehmen stehen vor zahlreichen Herausforderungen, etwa der Digitalisierung oder dem Fachkräftemangel. Wie steht es Ihrer Erfahrung nach generell um die Transformation in Familienunternehmen und im Mittelstand?
Eine generelle Aussage, zum Beispiel zur digitalen Transformation, kann man da nicht treffen. Ich nehme allerdings bei vielen Familienunternehmen und mittelständischen Betrieben eine sehr große Aufbruchstimmung wahr. Mit großer Entschlossenheit, aber auch mit Bedacht arbeitet man an den verschiedenen Herausforderungen, die eine immer komplexer werdende Welt mit sich bringt. Da geht es um neue Geschäftsmodelle und Wettbewerber, andere Kundenbedürfnisse, sich verändernde Wertschöpfungsketten oder einen wachsenden Fokus auf Nachhaltigkeit. Was leider oft unterschätzt wird, ist die Modernisierung der Organisation aus dem Kern heraus, denn Unternehmen haben es heute mit einer anderen Generation an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu tun, die mit besonderen Anforderungen an sie herantreten. Somit stehen Familienunternehmen im Kampf und Fach- und Führungskräfte nicht nur mit Konzernen, sondern auch mit Start-ups und Tech-Unternehmen im Wettbewerb. Ich glaube, hier gibt es einen großen Nachholbedarf, den ein Familienunternehmen allein nur sehr schwer stemmen kann.
Wo sehen Sie die größten Hürden, die Unternehmen daran hindern, den Transformationsprozess auf unterschiedlichen Gebieten voranzutreiben?
Ich denke, dass der Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderungen in der Unternehmenskultur liegt. Klar braucht es auch technisches und anderes Know-how, aber so etwas lässt sich immer aneignen. Schwieriger ist es hingegen, Verhaltensweisen in einer Organisation zu verändern. Gerade traditionsreiche Familienunternehmen mit einer sehr treuen und loyalen Belegschaft tun sich hier mitunter unheimlich schwer. Alle Ebenen eines Unternehmens müssen in der Lage beziehungsweise willens sein, miteinander stärker zu kooperieren und auch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zu forcieren. Prof. Nadine Kammerlander von der Wirtschaftshochschule WHU hat einmal gesagt „Wer nicht kooperiert, stirbt“ – im Sinne, dass es heute keiner alleine schaffen und sich nicht leisten kann, alle Fehler selbst zu machen. Genauso ist es ein Kulturthema, Dinge mutig auszuprobieren und Fehler zu erlauben. Das ist für viele Unternehmen natürlich ein umfassender Paradigmenwechsel.

Eine weitere Hürde sehe ich in der Sichtbarkeit vieler Mittelständler und Familienunternehmen. Gerade die Unternehmen des Mittelstands sind traditionell nicht gerade die Lautesten, wenn es darum geht, auf sich aufmerksam zu machen. Sie haben eher Macher- statt Rednermentalitäten. Sie sind aber trotzdem Weltmarkt- und Technologieführer. Allerdings ist die Welt heute so vernetzt, dass man in einen permanenten Lernmodus kommen und den Austausch mit anderen Unternehmen, Start-ups und Expertinnen und Experten suchen muss. Wenn man da als Unternehmen nicht gesehen wird, tut man sich doppelt schwer. Das gilt natürlich auch für die Suche nach Fach- und Führungskräften. Wer keinen Zugang zu Talenten hat, wird es schwierig haben, sich auf neue Rahmenbedingungen einzustellen. Es muss also einen Wandel vom Hidden zum Open Champion geben.
Was zeichnet den „Maschinenraum“ aus?
Der „Maschinenraum“ ist eine Initiative vom Mittelstand für den Mittelstand und wurde von der Viessmann-Gruppe auf Basis der eigenen Transformation initiiert. Es geht darum, gleichgesinnte Unternehmen zusammenzubringen, sich zu vernetzen und voneinander zu lernen. Dieser Ansatz ist definitiv einzigartig, denn hier vernetzen sich nicht nur die obersten Führungsetagen, sondern auch Mitarbeitende der teilnehmenden Unternehmen. Das hilft jedem Einzelnen, die Fehler des anderen nicht zu wiederholen, in den Organisationen bessere Entscheidungen zu treffen und mutiger zu sein – sei es an der Spitze oder innerhalb der Belegschaft. Natürlich ist auch Inspiration von außen ein wichtiger Treiber für die Modernisierung der Organisation. Das Handelsblatt hat die Initiative mal als „Allianz der Willigen“ beschrieben – das trifft es auch ganz gut. Es geht uns nicht darum, irgendwelche Logos oder Mitgliedsbeiträge einzusammeln, sondern diejenigen Unternehmen zusammenzubringen, die es verstanden haben, dass es sinnvoll ist, mit und von anderen unternehmensübergreifend zu lernen. Das ist gerade für Familienunternehmen ideal, denn sie agieren oft aus der gleichen DNA heraus und liegen auf der gleichen Wellenlänge. Damit unterscheidet sich der Ansatz von dem, wenn man als Familienunternehmen mit Beratern zusammenarbeitet. Dieser generiert sein Praxiswissen aus der Arbeit mit anderen Unternehmen, das er dann wieder einem Kunden zur Verfügung stellt. Bei der Initiative geht es um einen direkteren Weg. Zudem rücken auch vielmehr kleinere Hürden in den Fokus, die von vielen Beratern gar nicht betrachtet werden. Über solche Themen kann man sich im Maschinenraum best-practice-mäßig bestens austauschen. Dieser pragmatische Ansatz auf Augenhöhe sorgt dafür, dass sich alle Akteure schneller vertrauen und sich für das Gegenüber öffnen.

Welche Aktivitätsfelder werden im „Maschinenraum“ bespielt?
Es gibt insgesamt drei Aktivitätsfelder, die wir mit den Unternehmen gestalten. In dem ersten Feld geht es um die Sichtbarkeit und Attraktivität von Familienunternehmen, und darum, beides zu steigern. Wir kooperieren nicht nur in Sachen Presse- und Medienarbeit, sondern präsentieren Unternehmen auf eigenen und Veranstaltungen Dritter, bauen Partnerschaften zu den führenden wirtschaftswissenschaftlichen und technischen Universitäten in Deutschland auf, platzieren uns dort gemeinsam in Vorlesungen. In Berlin haben wir zudem einen physischen Ort mit 4500 Quadratmetern, der für eine sehr prominente Sichtbarkeit in der Innovationslandschaft Deutschlands sorgt. So teilen wir uns gemeinsam die Netzwerke zu Talenten, Start-ups, Politik und Wissenschaft. Ziel ist es, sich als Open Champion bei allen Akteuren sichtbar zu machen.
Das zweite Feld betrifft den Austausch untereinander. Wenn man sich die funktionellen Bereiche in einer Organisation anschaut, etwa die Personal-, Marketing-, Strategie- oder Innovationsabteilung, dann sind die Zukunftsthemen, an denen man dort arbeitet, in allen Familienunternehmen zu 50 bis 70 Prozent identisch. Das heißt, wenn man sich zum Beispiel die Kommunikationsabteilung anschaut, versuchen die meisten Unternehmen derzeit, die Mitarbeiterkommunikation zu modernisieren – Stichwort Employer Branding. Im Innovationsmanagement geht es in vielen Firmen darum, sich methodisch neu aufzustellen und strukturiert neue Ideen zu generieren. Aufgrund dieser Deckungsgleichheit kann man sich gegenseitig hervorragend helfen, denn es gibt immer ein Unternehmen, das in einem bestimmten Bereich weiter ist als andere. Hierfür bieten wir zwei Formate an. Das eine sind Peer-Group-Arbeitskreise, die sogenannten „Maschinenraum Circles“. Ein Circle befasst sich immer nur mit einem Fachbereich. Die Teilnehmer kommen monatlich zusammen und tauschen sich zu konkreten Fragen aus, die sie für sich gerade beantworten müssen. Dafür ist natürlich ein Best-Practice-Austausch von Familienunternehmen für Familienunternehmen ideal. Zudem kann jeder der 350.000 Mitarbeitenden, die über ihre Firmen an den „Maschinenraum“ angeschlossen sind, Fragen an alle Beteiligten stellen. Wenn also zu Beispiel eine Mitarbeiterin gerade am Thema Kreislaufwirtschaft arbeitet und dazu eine Frage hat, kann sie uns diese zukommen lassen und wir schicken sie dann an die richtigen Ansprechpartner in den anderen Firmen, die sich ebenfalls mit der Thematik beschäftigen.
Durch die monatlichen und die Ad-hoc-Austausche lernen sich die Menschen unternehmensübergreifend immer besser kennen. Das führt dazu, dass man relativ schnell merkt, in welchem Bereich welche Firma besonders stark ist und welches Unternehmen ähnlich tickt wie das eigene. Da greift man dann irgendwann nur noch einfach zum Hörer und sucht den kurzen Weg zum Austausch. Diese Vernetzung der Menschen in Familienunternehmen liegt uns am Herzen. Unser Angebot stößt mittlerweile auf größtes Interesse: Seit der Gründung der Initiative haben wir unter anderem rund 100 monatliche Austauschformate initiiert.
Im dritten Aktivitätsfeld geht es um die Neuausrichtung des Innovationsmanagements. Dort teilen wir uns den Zugang zu Methoden, Expertinnen und Experten, um neue Ideen besser und schneller bewerten zu können. Das machen wir, weil es in den meisten Familienunternehmen zwar kein Erkenntnis-, aber ein Umsetzungsproblem gibt. Es gibt auch kein Problem, neue Ideen zu generieren. Der Mangel an der Umsetzung liegt meistens an fehlenden Ressourcen und Fähigkeiten. So kann ein Unternehmen von zwanzig Ideen vielleicht nur zwei realisieren. Welche das sind, wird häufig per Bauchgefühl oder aus einer verzerrten Wahrnehmung des eigenen Blickwinkels heraus entschieden. Hinzu kommt, dass die Ideen unterschiedlich gut vorbereitet sind. Wir beim „Maschinenraum“ glauben daran, dass man die Effizienz von Innovation verbessern kann, wenn Ideen besser aufbereitet sind, beispielsweise unterschiedliche Perspektiven gleich mit einfließen. So lassen sich diese besser vergleichen. Mit dem Teilen von Methoden und Expertenwissen befähigen wir Mitarbeitende, hier einen besseren Innovationsprozess zu schaffen.
Wie viele Unternehmen und welche Firmen sind bereits an Bord?
Momentan sind es knapp 40 Unternehmen. Neben Viessmann sind zum Beispiel bekannte Namen wie Jägermeister, Lamy, Fiege und Uvex dabei. Es gibt aber auch weniger bekannte Champions wie Lauda, Weltmarktführer für exakte Temperierung, der Werkzeughersteller Knipex oder die Paracelsus-Kliniken, die bei uns mitmachen.
Die Bundestagswahlen sind gelaufen. Welche Weichen auf politischer Ebene muss die neue Bundesregierung als erstes stellen, damit der Transformationsprozess in der Wirtschaft unterstützt wird?
Familienunternehmen und Mittelstand brauchen Planungssicherheit. Neben den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung müssen vor allem für die Bereiche Bildung und Weiterbildung zügig politische Leitplanken gesetzt werden, innerhalb dessen sich die Unternehmen relativ frei bewegen können. Denn wenn wir es nicht schaffen, dass Talente für hiesige Familienunternehmen arbeiten, sieht es für die Zukunft der deutschen Industrie sehr düster aus. Gerade Familienunternehmen haben ein großes Interesse daran, die Welt ein Stück besser zu machen – dafür braucht es aber einen passenden ordnungspolitischen Rahmen.