Zielstrebig an die Spitze
Der Naturkosmetik-Hersteller Börlind mit Sitz im baden-württembergischen Calw wird seit 2020 in dritter Generation von Alicia Lindner und ihrem Bruder Nicolas geführt. Im Interview erzählt die 33-jährige Geschäftsführerin, wie die Nachfolge abgelaufen ist.

Geschwister als Führungsduo: Nicolas und Alicia Lindner
Frau Lindner, bitte stellen Sie Ihr Unternehmen kurz vor.
Die Börlind GmbH mit den Marken „Annemarie Börlind“, „Dado Sens“ und der KHV als Private-Label-Produktion ist ein Familienunternehmen, das vor über 60 Jahren von meiner Großmutter Annemarie Lindner und ihrem damaligen Geschäftspartner Hermann Börner gegründet wurde. Der Name des Unternehmens setzt sich aus den Familiennamen Börner und Lindner zusammen. Wir sind heute die größte selektive Naturkosmetikmarke in Deutschland. Das heißt: Unsere Produkte sind im höheren Preissegment angesiedelt. Insgesamt beschäftigen wir knapp 300 Mitarbeitende, die größtenteils an unserem Stammsitz in Calw tätig sind. Dort produzieren wir alles selbst, nutzen dafür unser eigenes Tiefenquellwasser. Die Quelle liegt direkt auf unserem Firmengelände. Meiner Großmutter war es von Anfang an wichtig, dass alle Produkte nachhaltig und gut verträglich sind. Ihr Motto war: „Was ich nicht essen kann, gebe ich nicht auf meine Haut.“ Dementsprechend finden sich in unserer Kosmetik weder Silikone, noch Parabene und Paraffine. Enthalten sind dafür beispielsweise aber sehr hochwertige Pflanzenöle.
Was macht für Sie das Faszinierende an der Leitung eines Familienunternehmens aus?
Ein Familienunternehmen führen zu dürfen, bedeutet für mich, die Möglichkeit zu bekommen, etwas Gutes zu bewahren, Dinge zu entstauben und neu zu machen. Das war in den vergangenen drei Jahren die Hauptaufgabe meines Bruders und mir. Zudem ticken Familienunternehmen anders als Großkonzerne. Da ist zum Beispiel die große Freiheit, etwas ohne die Meinung Dritter entscheiden zu können – man nur seinem eigenen Gewissen unterworfen ist und alles an seinem moralischen Kompass ausrichten kann. Mein Bruder würde sicherlich in diesem Kontext auch unsere Mission 2036 erwähnen, deren sehr hoch gesteckten Nachhaltigkeitsziele in dieser Form nur zustande gekommen sind, weil wir alles unabhängig entscheiden können.
Wie sah die Karriereplanung Ihres Bruders und die Ihrige vor dem Einstieg ins Unternehmen aus? Oder war für Sie beide irgendwie immer schon klar, dass Sie einmal ins Familienunternehmen einsteigen werden?
Für mich war relativ früh klar, dass ich ins elterliche Unternehmen einsteigen möchte. Die Naturkosmetik-Branche hat mich von klein auf fasziniert. Und im eigenen Familienunternehmen zu arbeiten, finde ich die schönste Sache der Welt. Bevor ich eingestiegen bin, habe ich ein Bachelor- und ein Master-Studium absolviert und konnte anschließend nach ein paar Aufenthalten im Ausland über zwei Jahre erste praktische Berufserfahrungen bei einer führenden Markenstrategie-Beratung in München sammeln. Auch mein Bruder hat bereits im Alter von 17, 18 Jahren mit einer Karriere in unserem Familienunternehmen geliebäugelt. Zunächst hat er aber nach dem Abitur und einer Ausbildung zum Industriekaufmann internationale Betriebswirtschaftslehre studiert. Danach absolvierte er ein Studium mit dem Abschluss Master für Family Entrepreneurship an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und arbeitete eine Zeit lang für eine M&A-Gesellschaft.
Einen Druck vonseiten meines Vaters in die Richtung, dass ich oder einer meiner Geschwister das Unternehmen übernehmen müssen, verspürten wir zu keiner Zeit. Das hat dann, glaube ich, auch dazu geführt, dass wir es auch wirklich wollten.

Ursprünglich wollte Ihr Vater die Leitung nur an eines seiner Kinder abgegeben. Auch externe Berater hatten dies empfohlen. Jetzt stehen Sie beide an der Spitze. Was hat Ihren Vater schließlich überzeugt, dass dieser Weg für alle doch der bessere ist?
Richtig, mein Vater war am Anfang der Meinung, dass es nur einen geben kann, der das Unternehmen leitet. Sein Argument: Das Unternehmen ist für mehrere Personen an der Spitze zu klein. Doch mein Bruder und ich haben im Nachfolgeprozess gemerkt, dass sich keiner von uns vorstellen kann, diese Aufgabe alleine zu bewältigen. Denn wir ergänzen uns mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten sehr gut, waren bereits nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team, das gemeinsam viel bewegen konnte. Das hat dann auch meinen Vater überzeugt.
Wie sah der Nachfolgeprozesse bei Ihrem Bruder und Ihnen konkret aus?
Mein Bruder ist vor zehn Jahren, ich bin vor neun Jahren ins Unternehmen eingestiegen – zu Beginn beide als Trainee. Von Anfang an hat uns eine externe Beraterin im Nachfolgeprozess begleitet. Zudem wurde ein Familientag eingeführt, an dem man sich einmal im Jahr in Ruhe über das Familienunternehmen, aber auch über die Unternehmerfamilie austauschen kann. Nach und nach haben wir in den Folgejahren die verschiedenen Unternehmensbereiche kennengelernt und in einigen auch über einen längeren Zeitraum hinweg gearbeitet. Bereits 2014 hat mein Bruder die Marketingabteilung übernommen, weil die Leitung krankheitsbedingt ausfiel. Ein paar Jahre später übernahm ich die Leitung der Personalabteilung. Bis zur endgültigen Übergabe im Jahr 2020 gingen die anderen Abteilungen an uns über. Heute kümmere ich mich heute um die Finanzen, den Vertrieb und die Fremdherstellung, während mein Bruder die Verantwortung für die Bereiche Einkauf, Produktion und Abfüllung, Logistik, Marketing, Personal sowie Forschung und Entwicklung trägt.
Was hat Ihnen den Nachfolgeprozess rückblickend erleichtert, was war besonders herausfordernd beziehungsweise was hatten Sie beide anfangs vielleicht auch unterschätzt?
Dass mein Vater immer an uns geglaubt hat, hat uns beiden sehr geholfen. Er hat oft zu uns gesagt „Ihr schafft das“. Zudem durften wir uns über einen großen und wertschätzenden Rückhalt in der Belegschaft freuen. Viele unserer Mitarbeitenden kenne ich von Kindesbeinen an. Was ich unterschätzt habe? Ich sag es mal so: Wenn man in einem Familienunternehmen anfängt, meint man schon nach wenigen Wochen zu wissen, welche Dinge man besser oder schneller machen könnte. Der Demut vor dem Erschaffenen folgt dann leider erst später. Aber am Anfang ist man eben sehr euphorisch, sprüht vor Energie – und schießt dann an der ein oder anderen Stelle auch mal übers Ziel hinaus. Im Nachhinein ist man da immer schlauer.
Welche Tipps können Sie anderen potenziellen Nachfolgern mit auf den Weg geben?
Ich würde jedem empfehlen, sich mit anderen Nachfolgerinnen und Nachfolgern frühzeitig auszutauschen – also mit solchen, die den Schritt bereits erfolgreich gemeistert haben und mit solchen, die sich noch mitten in der Nachfolge befinden. Aus diesen persönlichen Gesprächen nimmt man am allermeisten mit. Da spielen auch die Unternehmensgröße und die Branche keine Rolle, denn alle Nachfolgerinnen und Nachfolger beschäftigten sich mit den gleichen Themen.
Darüber hinaus ist eine externe Unterstützung für mich das A & O. Sie bringt noch einmal eine andere Perspektive in den Nachfolgeprozess mit rein. Wir hätten es sonst nicht geschafft, weil man lernen muss, in den verschiedenen Rollen mit den engsten Familienmitgliedern zu kommunizieren – beispielsweise, wann spreche ich mit meinem Bruder als Geschäftsführerkollege, wann als Mitgesellschafter und wann als Bruder. Man muss sich dessen bewusst sein, dass man Entscheidungen im Unternehmen eben anders trifft, als wenn man das als Privatperson tut. Auch im Miteinander mit der übergebenden Generation hat sich die externe Hilfe als sehr wertvoll erwiesen, weil da doch auch sehr viele persönliche und sensible Themen auf den Tisch kommen, die man vielleicht ohne die Expertise Dritter hätte nicht bearbeiten können.

Last but not least ist Durchhaltevermögen unverzichtbar. Nachfolge ist toll, doch auf dem Weg zu einem erfolgreichen Generationswechsel sind einige Täler der Tränen zu überwinden. Es gehört eben zur Nachfolge, dass eben nicht alles eitel Sonnenschein ist und man sich an der ein oder anderen Stelle durchkämpfen und seine Stellung erarbeiten muss. Das ist ein wichtiger Weg hin zur Unternehmerpersönlichkeit.
Wie sehen Sie sich für die Zukunft aufgestellt?
Grundsätzlich schauen wir sehr optimistisch in die Zukunft. Wir sind als Naturkosmetik-Hersteller aktuell vom Zeitgeist geküsst – reiten ganz oben auf der grünen Welle, die wir selbst mit ausgelöst haben. Der Bereich Naturkosmetik gewinnt erfreulicherweise immer stärker an Fahrt, denn die Kunden achten inzwischen verstärkt darauf, was sie auf ihre Haut auftragen und unter welchen Bedingungen diese Produkte hergestellt werden. Ziel ist es, unseren Umsatz zu verdoppeln und gesund zu wachsen. Wir möchten zudem dem Standort Deutschland treu bleiben. Und wir werden weiterhin auf das Zusammenspiel von innovativer Forschung und Wertschätzung der Natur setzen.