Compliance: Wenn weiße Schafe grau werden

Beim Aufdecken möglicher Compliance-Verstöße ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Betrugsermittlerin Birgit Galley rät Unternehmen, sich auf solche Fälle frühzeitig einzustellen und bei einem Verdacht vor allem vollkommen sachlich vorzugehen.
Immer mehr Unternehmen über einen Katalog an Compliance-Regelungen. Der Erfolg solcher festgeschriebenen Grundsätze misst sich aber letztlich an deren Umsetzung, zu der auch die gezielte Ahndung von Verstößen gehört. Doch wie sollen Unternehmen bei Verdachtsfällen am besten vorgehen? „Die Geschäftsleitung sollte hier einen kriminalistischen Ansatz verfolgen“, rät Birgit Galley und konkretisiert: „Das heißt, zuerst muss der Sachverhalt genau analysiert werden und erst dann kommen Verdächtige ins Spiel. Niemals darf man sich von Anfang an auf einen bestimmten Mitarbeiter einschießen, denn man muss sich immer im Klaren sein, dass diese Person möglicherweise unschuldig ist.“ Ansonsten leiste man dem Denunziantentum Vorschub. Zudem empfiehlt die Expertin, den Kreis, der sich mit der Aufklärung beschäftigt, möglichst klein zu halten.
„Hinweise sind wie Wasser“
Galley hat in ihrer mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Betrugsermittlerin die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen, die sich frühzeitig auf die Möglichkeit von schädigendem Verhalten eingestellt haben, Verdachtsfälle schneller und gründlicher aufklären können. „Hinweise auf Verstöße sind wie Wasser. Sie finden immer ihren Weg. Daher ist es wichtig, sie zu kanalisieren. Wenn dann aber ein Verdacht vorliegt, ist schnelles Handeln wichtig. Ist keine Hilfestellung in Sicht, kann man auch schon mal den Steuerberater oder den Rechtsanwalt fragen, wie sie im Fall der Fälle im Unternehmen agieren würden.“ Nicht zu unterschätzen sei in diesem Zusammenhang auch die Unternehmenskultur. Es sei eine zentrale Aufgabe von Geschäftsleitung und Vorgesetzten, ein Betriebsklima zu schaffen, das Mitarbeiter ermutigt, mit ihren Hinweisen direkt zu ihnen zu kommen und nicht damit auswärts hausieren zu gehen. „Professionelles Vorgehen und eine Kommunikation, die Vertrauen in den Mittelpunkt stellt, sind hier besonders wichtig“, sagt Galley. Dazu gehöre auch die klare Botschaft: „Wir sind alle weiße Schafe. Und wenn sich eines umfärben sollte, langsam grau wird, wollen wir das wissen und werden genau hinschauen.“ In vielen Fällen stelle sich eben heraus, dass jemand zunächst aus Versehen das Unternehmen geschädigt hat, dann aber als Täter weiter macht. Da sei es wichtig, aus Fehlern heraus keine Täter zu kreieren.
Puzzleteile zusammenfügen
Gerade für mittelständische Unternehmen stellt sich die Frage, wann es bei Verdachtsfällen besser ist, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen. „Wenn das Unternehmen dafür wichtige Kompetenzen, etwa auf den Gebieten Wirtschaftsstrafrecht, Ermittlungen und Betriebswirtschaft mitbringt, braucht es in der Regel keine externe Unterstützung. Auch muss man ein gewisses Fingerspitzengefühl haben, damit Unschuldige nicht zu Schaden kommen“, unterstreicht Galley. Nimmt die Ermittlung zu viel Raum und Zeit ein, rät die Expertin zur externen Hilfe. Gleiches gelte, wenn ein Mitglied der Geschäftsleitung direkt betroffen sei, Ermittlungsbehörden im Spiel seien und es darum gehe, sich als Führungskraft zu verteidigen. „Werden wir Betrugsermittler gerufen, geht es erst einmal darum, die Vorwürfe gegen das Unternehmen, das Puzzlespiel, genau kennen zu lernen. Wir müssen wissen, wie das Unternehmen tickt. Dazu gehören natürlich ausführliche Gespräche mit der Geschäftsleitung,
bei denen als erstes die Sachlage ermittelt wird. Die Befragung einer verdächtigen Person gleich zu Anfang, ohne den Sachverhalt zu kennen, ist jedenfalls tabu“, betont die Betrugsermittlerin und ergänzt: „Hier müssen wir kriminalistisch sehr vorsichtig vorgehen – nicht nur, um verdächtige Personen zu schützen, sondern auch um mögliche Hintermänner nicht aufzuschrecken und die Beweislage zu sichern.“ In den nächsten Schritten werden von den Experten zum Beispiel die Geldströme innerhalb des Unternehmens analysiert und die Schadenshöhe ermittelt. Das ist wichtig für spätere Schadensersatzforderungen. Besonders knifflig werde es, wenn internationale Handelsstrukturen oder auch Bauausschreibungen betroffen sind. „Da braucht es dann ein spezialisiertes Netzwerk an Experten, um sich ein Bild über die Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen“, so Galley. „Sind dann alle Tatbestände geklärt, können wir die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenfügen.“
Flurfunk nicht unterschätzen
Der Täter ist überführt. Und dann? Auch hier ist laut Galley eine offene Kommunikation gegenüber der Belegschaft das A und O: „Das Schlimmste, was Unternehmen hier machen können, ist zu versuchen, alles unter den Teppich zu kehren und totzuschweigen. Da wird der Flurfunk gerne von der Geschäftsleitung unterschätzt.“ Wichtig sei ein ehrlicher Umgang mit dem Thema nach dem Motto „Das ist bei uns passiert und wir setzen alles daran, dass so etwas bei uns nicht mehr geschieht“. Mit solchen klaren Signalen an die Mitarbeiter werde die Vertrauenskultur im Unternehmen gefestigt und ein wichtiger Beitrag zur Prävention geleistet. Zudem regt Galley an, solche Fälle für die Sensibilisierung der Mitarbeiter zu nutzen und die Verstöße anonymisiert in Schulungen einzubauen. (-hf)
Tipp: In der Dezember-Ausgabe von DIE NEWS, dem Magazin für Familienunternehmen, dreht sich alles um das Thema Compliance.